Rezension

Vom Selbstbild japanischer Frauen

Brüste und Eier - Mieko Kawakami

Brüste und Eier
von Mieko Kawakami

Bewertet mit 4 Sternen

Schon die Mutter der Schwestern Natsuko und Makiko arbeitete in einem Nachtclub; nach ihrem frühen Tod wuchsen die Mädchen bei der Großmutter auf. Auch Makiko arbeitet als „Hostess“  und ist Mutter einer pubertierenden Tochter. Die ältere der Schwestern will sich die Brust vergrößern lassen; denn ihr Körper ist ihr Kapital und sehr junge Frauen drängen in die Branche. Sie nervt ihre Schwester mit Hochglanzprospekten dubioser Kliniken. Existenzangst und die Unzufriedenheit mit ihrem erschlaffenden Körper, der einmal ein Kind geboren hat, sind jedoch schlechte Ratgeber im Umgang mit einer pubertierenden Tochter. Die zwölfjährige Midoriko setzt sich voller Scham mit der Entwicklung i h r e s Körpers auseinander und bekommt als Hintergrundbegleitung von ihrer Mutter ein negatives Selbstbild vermittelt. Was soll an einem weiblichen Körper erstrebenswert sein, wenn er sich später als Mogelpackung erweist wie bei ihrer Mutter, fragt sie sich. Den letzten Rest Selbstbewusstsein nimmt ihr das öffentliche Frauenbild Japans, das offenbar jedem Körperteil zuweist, wie er auszusehen hat.  Midoriko hat aufgehört zu sprechen; sie drückt sich allein in ihrem Tagebuch und mit schriftlichen Nachrichten aus. Makiko und Midoriko besuchen im Sommer 2008 Natsuko in Tokio. Die jüngere Icherzählerin war aus Osaka nach Tokio gezogen, um Schriftstellerin zu werden und lebt seitdem in einem winzigen Appartement. Wie Mutter und Schwester hatte Natsuko seit ihrer Schulzeit gearbeitet und trotzdem scheint sie nach einem ersten Erfolg als Autorin noch heute knapp bei Kasse zu sein. Dass sie ihre ältere Schwester nicht unterstützen kann, beschämt Natsuko. Zu ihrer Lektorin Ryoko Sengawa entwickelt sich eine wenig aufbauende Beziehung, denn Ryoko erwartet, dass Natsuko sich zwischen Mutterschaft und Autorenkarriere entscheidet.

Im ersten Teil des Romans, in dem die ältere Schwester Makiko im Mittelpunkt steht, zeichnet  Mieko Kawakami  das Bild einer verknöcherten Gesellschaft, in der sich ohne soziales Netz und unter hohem Anpassungsdruck nach außen nur Frauen aufeinander verlassen können. Gespiegelt wird die Situation im Konzept von Familie, über das im Nachtclub Makikos chinesische Kollegin Jingli erzählt, die in Japan besser verdient als in ihrer Heimat. Acht Jahre später hat Natsuko beschlossen, dass sie asexuell leben will, weil sie beim Sex keine Lust empfindet. Ihr Austausch mit ihrer Freundin Rie bestätigt Natsuko darin, dass ihr die vermeintliche materielle Sicherheit einer Ehe zu unsicher ist, um sich den strengen Normen für Ehefrauen in Japan zu unterwerfen.

Mit fast 40 Jahren und inzwischen als Autorin erfolgreich, will Natsuko ein Kind durch Samenspende empfangen. In Japan ist  künstliche Insemination Ehepaaren vorbehalten; Natsuko müsste dazu ins Ausland fahren oder sich auf einen grauen Markt für Samenspenden wagen. Warum sie sich kaum für die Strukturen interessiert, die ihr als alleinerziehende Mutter fehlen werden, blieb mir unklar. Natsukos eingeschränkte Perspektive ist für Leser des Buches unbefriedigend.

Natsuko wirkt mit ihrem schnörkellosen Ton sehr entschieden. Ihr Wunsch, in ihren Lebensverhältnissen ein Kind „besitzen“ zu wollen, konnte mich nicht überzeugen, zeigt jedoch ernüchternd ihre Verlassenheit. Der Zeitsprung zwischen den beiden separaten Romanteilen  „Midoriko“ und „Natsuko“ erleichtert den Zugang zu Mieko Kawakamis Figuren nicht unbedingt, verdeutlicht jedoch eindringlich die Entwicklung, die die anfangs völlig vereinsamte Natsuko in der Zwischenzeit durchlief.

Drei Generationen von Frauen in zwei Epochen beschreibt Mieko Kawakami, in einer Gesellschaft, die alles Körperliche schamhaft verschweigt. Fast 10 Jahre nach Makikos und Midorikos Besuch in Tokio scheint sich in der empathielosen Gesellschaft Japans wenig geändert zu haben. Von Frauen wird noch immer Anpassung, Dienen und Schweigen erwartet, auch wenn Natsukos Beziehungen zu Freundinnen ein Ende des Schweigens erhoffen lassen.