Rezension

Vom Suchen und Finden

Volkswagen Blues - Jacques Poulin

Volkswagen Blues
von Jacques Poulin

Bewertet mit 5 Sternen

Jack Waterman, mäßig erfolgreicher Autor in einer Schaffenskrise, an einem Punkt angelangt, an dem die Vergangenheit an Bedeutung gewinnt. Insbesondere sein vor knapp zwanzig Jahren verschwundener Bruder Theo. Die einzige Spur ist eine unleserliche Postkarte, in Gaspé abgeschickt. Jack möchte ihn wiedersehen, und so macht er sich in seinem altersschwachen Bulli auf den Weg. Gleich zu Beginn seiner Tour gabelt er eine Anhalterin auf, die ihm im weiteren Verlauf nicht nur eine angenehme Reisebegleitung sondern auch eine wertvolle Hilfe sein wird. Pitsemine, die „Große Heuschrecke“, ist eine Halb-Innu, eine intelligente junge Frau, rastlos auf der Suche nach der wahren Geschichte der Ureinwohner und somit auch nach ihrer eigenen Identität.

Das Highlight dieses Romans sind für mich die Gespräche der Protagonisten, in denen sie sich über Literatur und die amerikanische Geschichte austauschen, nicht nur unterhaltsam sondern auch höchst informativ. Insbesondere der Blick Pitsemines zeigt einen gänzlich anderen Blick auf die gängige Geschichtsschreibung, was die Entdeckung Nordamerikas angeht. Die Motivationen der französischen Forscher mögen ja edel gewesen und einem wissenschaftlichen Interesse entsprungen sein, aber ihre Reisen bereiteten den Boden für all diejenigen, denen es in erster Linie nicht um die Entdeckung sondern um die Eroberung, die Inbesitznahme des Kontinents und seiner Ressourcen ging. Die Dezimierung und Vertreibung der Ureinwohner und damit auch die Zerstörung ihrer Identität wurde dabei billigend in Kauf genommen.

„Volkswagen Blues“ ist ein Klassiker der franko-kanadischen Literatur, der der Gattung der Road Novel zugeordnet wird. Und obwohl im Original bereits 1984 erschienen, wirkt der Roman noch immer zeitlos. Es ist eine melancholische Geschichte, in der die Suche nach dem Bruder gleichsam zu einer Suche nach dem kollektiven Gedächtnis und dem eigenen Selbst wird.