Rezension

Vom Überleben in einer Welt aus Eis und Schnee

Wie Wölfe im Winter - Tyrell Johnson

Wie Wölfe im Winter
von Tyrell Johnson

„Wie Wölfe im Winter“ ist ein spannendes, atmosphärisch wunderschönes Jugendbuch, das schnell lesbar und teilweise emotional und mitreißend ist. Die Protagonistin blieb mir leider stets latent unsympathisch, der Schreibstil war mir teilweise zu oberflächlich und zu wenig komplex. Ein weiteres Problem, das ich mit dem Buch hatte, sind die alten Rollenbilder, die der Autor hier unbewusst propagiert. Auch wenn es stellenweise sehr unterhaltsam war, wird mir die Geschichte vermutlich nicht lange im Kopf bleiben, weil ich leider nicht so mitgefiebert und mitgelitten habe wie z.B. damals bei den „Tributen“. Insgesamt ist „Wie Wölfe im Winter“ ein interessantes Debüt, das mich zwar in der ersten Hälfte begeistern, das mich aber leider insgesamt nicht vollkommen überzeugen konnte.

* Spoilerfreie Rezension! *

Inhalt

Lynn lebt mit ihrer Mutter, ihrem Bruder, ihrem Onkel und dessen Ziehsohn in einem kleinen Familienverband mitten im eisigen Yukon. Durch einen Atomkrieg und den Ausbruch eines aggressiven Grippevirus wurde ein Großteil der Menschheit ausgelöscht. Nun kämpft die junge Frau mit ihren Vertrauten jeden Tag ums Überleben. In einer Welt ohne Supermärkte und Krankenhäuser müssen sich die Menschen im Yukon selbst versorgen. Eines Tages entdeckt Lynn, als sie gerade auf der Jagd ist, einen Fremden. Aus Neugier und in der Hoffnung auf Neuigkeiten von weiter entfernten Gebieten, lädt sie ihn zu ihrer Familie zum Essen ein. Was Lynn noch nicht weiß: Der Fremde wird verfolgt…

Übersicht

Einzelband oder Reihe: im Moment ist noch nichts über eine Fortsetzung bekannt
Erzählweise: Ich-Erzähler
Perspektive: aus weiblicher Perspektive
Kapitellänge: eher kurz
Tiere im Buch: - Es werden im Buch Tiere eiskalt getötet und verletzt. Sie sind in Panik und haben Schmerzen. Es werden keine Tiere absichtlich gequält.

Warum dieses Buch?

Dieses Buch habe ich spontan entdeckt. Der Klappentext, das Cover und die positiven Kritiken, mit denen geworben wird, haben mich sofort neugierig gemacht und in mir den Wunsch geweckt, das Buch zu lesen.

Zitat

„Nichts ist so leise wie fallender Schnee.“ Ebook, Position 453

Meine Meinung

Einstieg (+)

Der Einstieg fiel mir ausgesprochen leicht. Schon in den ersten Seiten wird man als Leserin mit der harten, neuen Welt konfrontiert, in der Lynn mit ihrer Familie lebt und bekommt einen ersten Eindruck von der jungen Frau, die um Flüche nicht verlegen ist. Man begleitet sie auf die Jagd und ist Zeuge, wie sie von einem Nachbarn belästigt wird, der ihr ihre Beute abgenommen hat. Aus Neugier und Wut über den Vorfall liest man sofort gespannt weiter.

Schreibstil (+/-)

Der Schreibstil ist angenehm und flüssig zu lesen. Er führt mit einfacher Sprache und relativ geringem Detailreichtum durch Lynns Welt. Immer wieder gibt es hier hochemotionale, spannende und tiefgründige Stellen, die begeistern können, leider scheint der Schreibstil zu manch anderem Zeitpunkt zu einfach und zu oberflächlich. Manchmal hätte es durchaus gerne etwas mehr Komplexität sein dürfen, für Jugendliche ist die Sprache sicher geeignet, manche/r erwachsene Leser/in könnte sich unterfordert fühlen.

Hauptfigur (+/-)

Was die Hauptperson betrifft, so bin ich zwiegespalten. Einerseits schätze ich ihre Stärke, ihre Fürsorglichkeit und ihren Humor, andererseits waren mir Lynns oft eiskalte Art und ihre Selbstverliebtheit und Arroganz ein Graus. Ich verstehe natürlich, dass einen eine derart gnadenlose Welt abhärtet, dennoch kann man sich ja trotzdem noch einen Rest Empathie für Tiere bewahren, oder? Lynn anscheinend nicht, eiskalt tötet und verletzt sie, sie scheint ein Tier nicht mehr als fühlendes Wesen zu begreifen, sondern nur noch als Essen auf vier Beinen. Jagen zum Überleben ist ok, aber mit so einer Einstellung kann man bei mir nicht punkten. Was auch nicht ganz zusammenpasst, ist Lynns wechselhaftes, manchmal inkonsistentes Verhalten. In einer anderen Rezension wurde ein sehr treffender Vergleich gezogen, leider finde ich diese nicht mehr, um sie zu zitieren: Einmal ist Lynn mutig und nüchtern wie Katniss, ein andermal naiv und nutzlos wie Bella. Obwohl sie also schon jahrelang in der Wildnis überlebt, muss sie deshalb von Zeit zu Zeit gerettet werden. Vielleicht lag es an Lynn, dass ich hier leider nicht ebenso mitleiden und mitfiebern konnte wie zum Beispiel bei den „Tributen von Panem“.

„Plötzlich war ich die jüngste in der Jahrgangsstufe und trotzdem noch klüger als die meisten meiner Mitschüler. Um ehrlich zu sein, war ich schlauer als alle meine Mitschüler. Ich sage das nicht, um anzugeben, und es bedeutet ja auch nicht unbedingt, dass ich so eine Art Genie bin. Wahrscheinlich waren die anderen Kinder einfach nur ein Haufen Trottel.“ Ebook, bei 14%

Nebenfiguren (+)

Bei den Nebenfiguren hätten manche etwas weniger blass (oder böse) sein können, andere überzeugen absolut und nachhaltig. Besonders gut haben mir der ruhige, weise Onkel Jeryll und sein sensibler Ziehsohn Ramsay gefallen. Besonders wenig konnte ich mit Lynns misogynem Bruder anfangen, weil mir Leute, die Frauen nicht ernst nehmen und kleinhalten wollen, gegen den Strich gehen.

Idee & Themen (+/-)

Die Idee ist sicher nicht neu, dennoch gibt sich der Autor Mühe, seine ganz eigene, einzigartige Dystopie zu erschaffen. Das Buch enthält eine relativ einfache Handlung, ist sicher nicht innovativ, macht seine Sache – das Kombinieren von bereits bekannten Elementen – aber dennoch über weite Teile sehr gut.

Gestört haben mich die gelegentlichen Wiederholungen, gerade die Erinnerungen an den Vater betreffend, und mancher Widerspruch. Geliebt habe ich die ernsten Themen und Fragen, die das Buch behandelt, wie die Liebe zum Vater, Trauer, Freundschaft, Verantwortung und Mut.

Atmosphäre (+!)

Ein großer Pluspunkt des Romans: Tyrell Johnson schafft es trotz seiner einfachen, detailarmen Sprache, eine eisige, unwirtliche und zugleich wunderschöne Atmosphäre zum Leben zu erwecken. Für Winterfans wie mich sind die Beschreibungen von knisterndem Schnee unter den Schuhen, wilden Schneestürmen und strahlenden Nordlichtern ein wahrer Genuss, der sofort zu einem führt: dem Sehnen nach mehr Schnee!

Spannung (+/-)

Vor allem in der ersten Hälfte des Buches ist der Spannungsaufbau sehr gelungen. Ich konnte nach den ersten Seiten das Buch kaum noch aus der Hand legen. Ich musste dringend wissen, wie es weitergeht und kam durch den einfachen Schreibstil schnell voran. Bei ungefähr drei Vierteln kam dann für mich ein überraschender Einbruch, von dem sich das Buch meiner Meinung nach nicht mehr erholte. Vielleicht lag das einfach an mir. Der Autor gibt sich Mühe mit unerwarteten Wendungen, viele davon sieht man allerdings schon von weit her durch den Schnee stapfen, da es einfach zu viele Hinweise gibt. Hier merkt man schon, dass man ein Debüt in den Händen hält.

Männlichkeit und Weiblichkeit, alte Rollenbilder (-)

Problematisch, besonders für jugendliche LeserInnen, ist, dass sich der Autor nicht darüber bewusst zu sein scheint, dass er alte Rollenbilder propagiert. So wird Lynn immer wieder gesagt, was sie alles nicht tun könne, weil sie eine Frau ist, Ramsay hingegen wird als lächerlich hingestellt, weil er ein sensibler, feinfühliger junger Mann ist, der dem Klischee des harten Kerls nicht entspricht. Das Problem bei solchen Rollenbildern ist, dass sie extrem einengen, dass sie zu weiteren Problemen wie Gewalt gegen Frauen führen und dass sie in Büchern, Filmen und der Werbung oft einfach so mitgeliefert werden, ohne dass sie hinterfragt werden. Dagegen möchte ich mit diesem Absatz anschreiben, da vor allem Jugendliche sehr stark unbewusst von ihnen beeinflusst werden. Hoffentlich macht Tyrell Johnson das beim nächsten Buch besser.

Mein Fazit

„Wie Wölfe im Winter“ ist ein spannendes, atmosphärisch wunderschönes Jugendbuch, das schnell lesbar und teilweise emotional und mitreißend ist. Die Protagonistin blieb mir leider stets latent unsympathisch, der Schreibstil war mir teilweise zu oberflächlich und zu wenig komplex. Ein weiteres Problem, das ich mit dem Buch hatte, sind die alten Rollenbilder, die der Autor hier unbewusst propagiert. Auch wenn es stellenweise sehr unterhaltsam war, wird mir die Geschichte vermutlich nicht lange im Kopf bleiben, weil ich leider nicht so mitgefiebert und mitgelitten habe wie z.B. damals bei den „Tributen“. Insgesamt ist „Wie Wölfe im Winter“ ein interessantes Debüt, das mich zwar in der ersten Hälfte begeistern, das mich aber leider insgesamt nicht vollkommen überzeugen konnte.

Empfehlung: Für alle, die einen einfachen Schreibstil, Spannung und ein winterliches Setting schätzen, ist dieses Buch genau das Richtige!

Bewertung

Idee: 4 Sterne
Ausführung: 3 Sterne
Schreibstil: 3,5 Sterne
Personen: 3,5 Sterne
Hauptperson: 3 Sterne
Spannung: 3,5 Sterne
Emotionale Involviertheit: 3 Sterne

Insgesamt:

❀❀❀,5

Dieses Buch erhält von mir dreieinhalb Lilien!

Ich danke an dieser Stelle dem HarperCollins Verlag für das  Rezensionsexemplar!