Rezension

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Vom Verschwinden

Die Detektive vom Bhoot-Basar - Deepa Anappara

Die Detektive vom Bhoot-Basar
von Deepa Anappara

Bewertet mit 5 Sternen

Der achtjährige Jai lebt mit seiner Familie in einem Armenviertel - einem Basti - in Indien, wie auch seine Freundin Pari, ein intelligentes Mädchen, und sein Freund Faiz, ein Muslim, mit denen er zusammen zur Schule geht. Er schaut gerne Krimidokus im Fernsehen und als ein Mitschüler der drei verschwindet, schlägt seine große Stunde - er wird als Detektiv das Rätsel um Bahadurs Verschwinden auflösen!

So denkt er sich das. Mit Faiz und Pari als seinen Assistenten. Fortan beobachten und belauschen die drei, wo sich die Gelegenheit dazu ergibt (oft auf dem belebten 'Bhoot-Basar', wo die Kinder aber eigentlich nichts verloren haben) und befragen Familienangehörige und Verdächtige. Das Zusammenspiel der drei klappt gut und ist amüsant zu lesen, denn Pari stellt ausgerechnet immer die richtigen Fragen, bevor Jai 'dazu kommt' (oder es ihm in den Sinn kommt). Doch nach und nach steigt der Zeitdruck, denn es verschwinden immer mehr Kinder. 

Die indisch-stämmige Autorin Deepa Anappara lässt Indien wort-, farb- und bildgewaltig lebendig werden. Die Gerüche und Geschmäcker, der Krach, der Smog - man merkt, dass hier jemand schreibt, der die Verhältnisse wirklich kennt, und nicht nur durch die Linse einer Kamera. Als preisgekrönte Journalistin (ausgezeichnet für ihre Arbeiten zu den Auswirkungen von Armut und religiöser Gewalt auf die kindliche Entwicklung) hat sie mit ihrem Buch auch einen aufklärenden Anspruch, und der schleicht sich nach und nach ein. Religiöse Spannungen, der Umgang mit Frauen und allem voran: das tragische und in den meisten Fällen unaufgeklärte Verschwinden von Kindern. Das durch die Augen eines Kindes zu sehen, verklärt den Blick auf die Situation anfangs optimistisch, etwas abergläubig und abgelenkt, doch am Ende des Buches sitzt der Leser erschüttert vor der Realität, wie auch Jai. 

Es ist große Kunst, wie es Deepa Anappara schafft, leichten Humor und tragische Realität zu verweben. Dazu kommt noch ein spirituelle Ebene, in der verschiedene Schutzgeister zur Sprache kommen, welche den Kindern und den Angehörigen Trost und Schutz versprechen. Auch dies ein erhellender Einblick in die Mentalität Indiens. 

Normalerweise stören mich offene Fragen am Ende einer Geschichte, doch hier nicht: Ich empfinde 'Die Detektive vom Bhoot-Basar' nicht als Geschichte, sondern als Tatsachen-Bericht. Jai ist kein Romanheld (weiß Gott nicht! - zum Glück) er ist ein Junge, der den Umständen entsprechend wohlbehalten aufwächst, der träumt und selbstbewusst ist und dabei herrlich kindlich frei und beschränkt in seinem Denken zugleich. Ich gehe davon aus, Deepa Anappara hat ihn nach zahlreichen echten Vorbildern geschaffen und glaube, dass es so wie im Roman immer wieder in Indien (auch anderswo) geschieht. Es gibt keine Auflösung im Roman, weil auch in der Realität die in die Familien gerissenen Lücken ungeklärt bleiben, weil nach und nach und immer wieder die Ärmsten der Gesellschaft die ignorierten Leidtragenden sind. DAS ist die Geschichte, die erzählt wird und das bricht einem fast das Herz.