Rezension

von bissigen Großmüttern und roten Zöpfen

Der Zopf meiner Großmutter - Alina Bronsky

Der Zopf meiner Großmutter
von Alina Bronsky

Bewertet mit 3.5 Sternen

Großmutter Margarita Iwanowna, ihr Gatte Tschingis sowie Enkel Maxim stranden als Kontingentflüchtlinge aus Russland in einem deutschen Wohnheim. Während Oma Margo es als ihre höchste Pflicht ansieht, Enkel Max von sämtlichen todbringenden Keimen fernzuhalten, sitzt der Großvater wortkarg und stoisch daneben, geht allem Ärger aus dem Weg und verliert sein Herz an die wesentlich jüngere alleinerziehende Nina, die gleich nebenan wohnt. Die Affäre bleibt vom Enkel nicht unbemerkt, nur die Großmutter sieht es nicht kommen – bis neun Monate später ein Mini-Tschingis die Welt erblickt und selbige für alle Beteiligten auf den Kopf stellt.

Leseeindruck

Alina Bronsky (Pseudonym) hat russisch-deutsche Wurzeln, wanderte als Kind mit ihrer Familie Anfang der 1990er Jahre als Kontingentflüchtling nach Deutschland aus. Ihr Vater ist jüdischer Abstammung und sie selbst ist Mutter von vier Kindern. Viele Parallelen lassen sich zu dieser Geschichte ziehen und doch kann man nur hoffen, dass die Autorin selbst niemals Bekanntschaft mit einer Frau wie Margarita Iwanowna machen musste. Diese Großmutter wünscht man seinem ärgsten Feind nicht – ihre Erziehungsmethoden sind ein Albtraum, sie schimpft auf die Juden im Heim und kontrolliert alles und jeden und doch gibt es da auch eine andere, tief verborgene Seite an unserer titelgebenden Großmutter. Es braucht lange, um etwas Wärme in Margos Wesen zu erkennen, man kann ihr nur schwer die Grobheit ihrem Umfeld gegenüber verzeihen, doch am Ende des Buches wird klar, woher der harte Panzer rührt, den sie sich zugelegt hat, hinter dem sie sich selbst eingemauert hat. Für Sympathie reicht das dann aber doch nicht. Überhaupt sind es die skurrilen Figuren, die die Geschichte tragen. Denn auch Max, der hier die Erzählstimme ist, ist ein besonderer Junge. Von der Großmutter zum Außenseiter degradiert, stets beschimpft und kleingehalten, kämpft er sich durchs Leben, ist dabei pfiffig, liebenswert und erstaunlich empathisch. Die größte Herausforderung stellt sich für ihn also im "Normalsein" unter widrigen Umständen. Ob ihm das gelingen kann, müssen Sie selbst lesen.

"Der Großvater saß schweigend da. Ich fragte mich, ob es das erste Mal war, dass ich ihn einen Menschen so intensiv anblicken sah, oder ob ich sonst einfach nie auf ihn geachtet hatte, weil die Anwesenheit der Großmutter meine Sinne komplett in Beschlag nahm."

Neben den wunderbar scharf und oft auch überspitzt gezeichneten Figuren ist "Der Zopf der Großmutter" ein schwarzhumoriger und bissiger Roman, dem trotz aller Heiterkeit eine tragische Geschichte zugrunde liegt. Das Lachen blieb mir da oft im Hals stecken. Liest man zwischen den Zeilen, so wird man mit vielen seelischen Konflikten bei den Charakteren konfrontiert. Geschickt und sprachlich gekonnt legt Bronsky einen humorigen Mantel um die Schwere der Geschichte. So verpackt lässt sich der Roman dann auch ganz gut lesen und weiß zu unterhalten.

"Mit dem gestohlenen Geld in der Hand war ich ein freier Mensch, und Glücksseligkeit war käuflich."

Für mich fehlte es ab der Hälfte allerdings leider an Glaubwürdigkeit und Schwung. Die geschaffenen Konstellationen (Patchworkfamilie) wirken unrealistisch und die Quintessenz der Geschichte verliert sich im Nichts. Der Großmutter geht die Puste aus, Max löst sich – und genau das tut letztlich auch der Leser, ich für meinen Teil mit einem Gefühl der Enttäuschung.

"Die Worte glitten an mir vorbei, und ich wollte ihnen nicht einmal hinterherdenken. Doch dann kehrten sie um, wie der Wind manchmal die Richtung wechselt, und bohrten sich in mein Hirn."

Fazit

"Der Zopf der Großmutter" ist ein augenscheinlich schwarzhumoriger Roman mit skurrilen Figuren und einer Sprache, die auf den Punkt sitzt. Aufgrund der (für mich) ernsten Hintergrundthematik und dem derben Verhalten der Großmutter, ist es eine Geschichte, die ich nur als bedingt heiter empfunden habe. Eine Lektüre, die mir zwar gefallen hat, mich aber leider nicht komplett abholen konnte und an "Baba Dunjas letzte Liebe" nicht heranreichen kann.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 01. Juni 2019 um 11:50

Die Patchworkfamilie fand ich nicht unglaubwürdig, aber dem Großvater ist einfach zu viel passiert. Zu viel Drama bei ihm.

Sogar gar nicht ungewöhnlich. Sondern nur tragisch. Hätten wir uns doch unterhalten können darüber.

yvy kommentierte am 05. Juni 2019 um 13:39

Ja, Tschingis, der stumme Gegenpol zur Großmutter. Mir war es einfach in der Summe zu überspitzt und es fehlte mir an Quintessenz. Ich habe das Buch in einer LB-Leserunde gelesen, du kannst ja gern da mal reinschauen und die vielen, vielen Kommentare durchforsten. ;)