Rezension

Von Chancenlosigkeit und großen Chancen - ein spannendes Jugendbuch mit starker Protagonistin

On The Come Up - Angie Thomas

On The Come Up
von Angie Thomas

Bewertet mit 4 Sternen

"The Hate U Give" war 2017 eines meiner Jahres-Highlights. Erst vor Kurzem habe ich die Verfilmung im Kino gesehen (die übrigens richtig, richtig gut ist!) und war sofort wieder drinnen in Garden Heights und der beklemmenden Atmosphäre, die Thomas in ihrem Roman schafft. Ihr neues Jugendbuch "On the Come Up" spielt etwa ein Jahr nach den Geschehnissen in THUG und hat als Handlungsort ebenfalls das "Ghetto" Garden Heights. Für mich war es also eine Rückkehr in eine Welt, in der Ungerechtigkeit, Chancenlosigkeit und Kriminalität vorherrschen - und Rassismus. Denn im Grund genommen greift Angie Thomas in "On the Come Up" ähnliche Themen auf wie schon in THUG. Ein bisschen schade fand ich es hier, dass die Geschehnisse um Khalil und Star zwar am Rande immer mal wieder erwähnt werden, die Protagonistin Bri sich aber kaum damit auseinandersetzt beziehungsweise es auch keine weiteren Hinweise darauf gibt, wie sich die Menschen in Garden Heights mittlerweile dazu positionieren. Aber das nur am Rande.

 

Auch diesmal geht es wieder um ein junges Mädchen, das in ihrem Alltag immer wieder mit Rassismus und Vorurteilen konfrontiert wird. Denn Bri und ihre Freunde besuchen eine Schule in einem "besseren" Viertel und es wird häufiger deutlich angesprochen, dass sie als farbige Schüler beziehungsweise als Kinder aus dem sozialen Brennpunkt Garden Heights nur deshalb dort sind, damit die Schule entsprechende Fördergelder erhält. Und das bekommt vor allem Bri Tag für Tag zu spüren: Sie wird anders als ihre "weißen" Mitschüler wegen jeder Lapalie beziehungsweise nur weil sie kritisch hinterfragt ins Büro des Schulleiters geschickt und am Anfang sogar von den Sicherheitsleuten der Schule brutal zu Boden geworfen und gefesselt - und daraufhin von allen als Drogendealerin verdächtigt. Diese Ungerechtigkeit und die Vorverurteilung spitzen sich im Verlauf der Handlung weiter zu und es sind Szenen, die ebenso schmerzhaft wie aufrüttelnd ist. Mich haben all diese unterschwelligen Bemerkungen und die Ablehnung, die Bri in der Schule täglich zu spüren bekommt, wahnsinnig wütend gemacht. 

 

Vor allem hat mich die Geschichte mitgenommen und emotional erreicht, weil sich auch "On the Come Up" ganz nah und echt anfühlt. Authentizität spielt in den Romanen von Angie Thomas eine große Rolle - vor allem die Sprache, die dem Leser ein Gefühl für den "Ghetto-Slang" vermittelt und außerdem zur 16-jährigen Protagonistin passt, ist hier das Mittel ihrer Wahl. Man muss allerdings schmerzfrei sein - ich zumindest bin jedes Mal ein bisschen zusammengezuckt, wenn die Formulierungen im Buch mal wieder gegen alle grammatikalischen Regeln gingen. Hier zeigen sich deutlich die Hürden der Übersetzung. Auch wenn die Sprache natürlich authentisch wirkt und zu Garden Heights, wie man es sich vorstellt, passt, ist das, glaube ich, ein zweischneidiges Schwert. Und man muss sich definitiv darauf einlassen. Was mir wiederum sehr gut gefallen hat, ist, dass Bris Leidenschaft für den Rap einfach wahnsinnig gut rüber kommt. In ganz alltäglichen Situationen fallen Bri spontan Lines ein, die sich dann nach und nach zu einem Song zusammensetzen. Es hat einfach Spaß gemacht und fasziniert, zu sehen, wie solche Songs entstehen können und was sie am Ende bedeuten. Ich finde es deswegen auch gut, dass Bris Lines nicht übersetzt wurden - allerdings fiel es mir doch schwer, mir sie beim Rappen vorzustellen - so richtig ins Ohr gehen wollten mir die Songs nicht. Das liegt aber ganz einfach daran, dass man sie schlicht als Gedicht liest. 

 

Anfangs dachte ich angesichts des Klappentextes, bei "On the Come Up" würde es sich um eine ganz klassische Aschenputtel Story handeln. Von ganz unten bis ganz oben - das ist zwar das grobe Grundgerüst für die Handlung, aber es geht um viel mehr. Neben der Chancenlosigkeit und der Ungerechtigkeit geht es vor allem darum, sich nicht selbst zu verlieren. Sich nicht selbst in eine Ecke zu stellen, in die man sich nie drängen lassen wollte. Denn genau das sind die Tücken, mit denen sich Bri konfrontiert sieht, als sie nach einem spektakulären Rap-Battle plötzlich im Rampenlicht steht und ihr Traum auf einmal zum Greifen nahe ist. Ich musste mir während des Lesens immer wieder ins Gedächtnis rufen, dass Bri ein Teenager und damit auch naiv, leichtsinnig und impulsiv ist. Denn es war richtig schmerzhaft, ihr dabei zuzusehen, wie sie sich immer wieder selbst die Beine gestellt hat. Angie Thomas zeigt damit ganz deutlich, dass es eben nicht nur die äußeren Umstände sind, die uns einschränken und uns ins falsche Licht rücken, sondern auch wir selbst - mögen noch so gute und ehrliche Absichten dahinter stecken. 

 

Es gibt allerdings auch ein paar Punkte, die mir an "On the Come Up" nicht so gut gefallen haben. Zum einen finde ich, dass Angie Thomas hier und da ein bisschen zu oberflächlich bleibt - was die Charaktere angeht, aber auch in Bezug auf die Themen, die sie anschneidet. So hätte ich mir gewünscht, mehr Facetten von Bri und ihren Freunden, aber auch von ihrer Mutter, zu der sie ein sehr schwieriges Verhältnis hat, und von ihrer Tante Pooh zu sehen. Ich hatte ein bisschen das Gefühl, dass die Figuren in gewisser Weise in Kategorien eingeteilt sind und es gibt kaum Überschneidungen - es wirkte einfach vieles schwarz und weiß. Auch den ein oder anderen Perspektivwechsel hätte ich gut und wichtig gefunden. Ich verstehe zwar, dass Angie Thomas Garden Heights und die Geschehnisse aus dem eben eingeschränkten Blickwinkel von Bri und ihren Freunden darstellen will, hätte mir aber gewünscht, dass es auch auf der anderen Seite Lösungsansätze gegeben hätte. Ich hadere ein bisschen mit mir, wie ich das ausdrücken soll - in THUG zum Beispiel gab es zwei Welten, die natürlich hier und da miteinander kollidiert sind, die aber an vielen Stellen auch ineinander griffen (zum Beispiel Star und ihr Freund). In "On the Come Up" gibt es nur eine Richtung, es gibt nur Garden Heights, diese in sich geschlossene, eigene kleine Welt, und keinen Blick über den Tellerrand. Ich denke, dass es für ein Jugendbuch wichtig ist, nicht nur die eine Seite zu thematisieren, sondern auch die andere. So wie auch einige der angeschnittenen Themen angeschnitten blieben und die Handlung dadurch hier und da etwas chaotisch wirkte. Ansonsten aber finde ich das Buch ebenso schlagkräftig, brisant und wichtig wie seinen Vorgänger - und es las sich ebenso spannend und flüssig. 

Mein Fazit
Wie auch Angie Thomas´ Debütroman ist "On the Come Up" ein echter Pageturner, auf dessen Seiten sich viel verbirgt, was einen zum Nachdenken anregt. Die Themen, die Angie Thomas aufgreift, sind wichtig - die Message, die sie transportiert groß und aktuell. Es geht um Chancenlosigkeit, um Rassismus und Vorurteile und es geht um den Kampf gegen sich selbst und vielleicht auch ein bisschen gegen den Rest der Welt. Ich habe das Buch an vielen Stellen mit Wut im Bauch gelesen - es hat mich erreicht, gefesselt und mitgenommen. Ich hätte mir zwar ein wenig mehr Tiefe, den ein oder anderen Richtungswechsel und auch ein bisschen weniger Schwarz und Weiß und dafür mehr Grau gewünscht - alles in allem aber ist das eine Geschichte, die aktueller und wichtiger nicht sein könnte. Für mich reicht "On the Come Up" zwar nicht an seinen Vorgänger "The Hate U Give" heran, ist aber dennoch ein richtig gutes Jugendbuch, das berührt und einen auf vielen Ebenen erreicht.