Rezension

Von der humanitären Illusion: eine Entlarvung.

Schutzzone - Nora Bossong

Schutzzone
von Nora Bossong

Bewertet mit 3 Sternen

Ein anstrengendes und forderndes Werk, nach dessen Lektüre man sich seines depressiven Charakters wegen, besaufen möchte.

Mira Weidner ist als Diplomatin bei den Vereinten Nationen angestellt. In der Jetztzeit 2017, Genf, soll sie vorbereitende Gespräche führen für Friedensverhandlungen über das geteilte Zypern. Solche Gespräche sind diplomatisch zäh und führen selten zu merklichen Erfolgen.

In fragmentarischen Auszügen arbeitet die Diplomatin Mira Weidner ihr Leben auf, eine kindheitliche Entwurzelung, als ihre Eltern sie im Alter von neun Jahren einer befreundeten Diplomatenfamilie übergeben haben, wo sie einen älteren „Leihbruder“ Milan anhimmelte, der ihr Halt geben sollte und vom den sie nie richtig loskommt. Schon früh lernt sie, dass die Welt bedrohlich ist und jedem jederzeit alles genommen werden kann.

Diverse Jobs in New York, 2011. Traumstadt. Verlorenheit. Einsamkeit. Erste Diplomatenmission in Burundi, Bujumbura 2012. Diplomatengeschützt hinter Stacheldraht. Am Pool und mit Drinks. Draußen das Morden und Sterben. Die Armut. Hoffnungslosigkeit. Schock. Cholera, Malaria. Desillusionierung. Weitere Missionen und Stationen: Ausgangssperre. Hutsis, Tutsis. Die Welt interessiert sich nicht. Überleben ist Zufall. Genozide. Worte, die man nicht verwenden darf in den Berichten an die Schreibtische der Vorgesetzten. Persönliche Verwicklungen mit einem hiesigen Kriegsverbrecher.

DIE KRITIK:
Nora Bossong kann mit Sprache umgehen. Auch wenn sie den Leser strapaziert mit endlos scheinenden Sätzen, über Seiten hinweg ein Satz, und ihrer lyrischen Sprache, die sie wieder und wieder assoziativ verwendet, um Atmosphäre zu schaffen – und ein Gefühl. Wie in Gedichten, muss man mehr der Stimmung nachspüren, die ihre Worte auslösen als dem eigentlich Erzählten. Obwohl gerade in den Banalitäten Vieles zum Ausdruck kommt, das Persönliche und das Allgemeingültige, beides vermengt sich in einer Abwärtsspirale. Doch überlässt die Autorin diese Lesart dem Interpreten/Leser.

Ein oft verwendetes Bild ist die trügerische Schönheit der Pfauen in den Parks in Genf, hier wo Glas eine scheinbare Transparenz vorgaukelt und die Verschwendung in scharfem Gegensatz zum Elend jenseits der abgeriegelten und geschützten Compounds steht, wo die Diplomaten und Journalisten, die Expats, in ihren Auslandseinsätzen wohnen.

Ist Miras Job einer, der sich lohnt? Sind die Vereinten Nationen sinnvoll? Auf was kommt es überhaupt an in einer Welt, die keiner unter Kontrolle halten kann. Darauf gibt das Buch als Antwort nur eine grenzenlose Traurigkeit. Die Welt ist unkontrollierbar.

Durch die langen, verschlungenen und sich windenden Sätze mit vielen Aufzählungen, die Lokalkolorit heraufbeschwören sollen und es auch tun, dem philosophischen Nachinnenhorchen, der depressiven Grundstimmung, tut der Leser sich häufig schwer, der Autorin zu folgen, die sich gerne im Ungefähren von ihm entfernt. Vielleicht war es so, vielleicht aber auch nicht. Das Ungefähre, das der persönlichen Interpretation viel Raum gibt, ist gleichzeitig die große Schwäche des Romans.

Und diese Schwäche wird dem Roman kaum Leser bringen. Denn warum sollte man sich für Mira Weidner und die Arbeit der Vereinten Nationen und alle diese uferlosen, von der Autorin Bossong ziemlich willkürlich aneinandergereihten Details interessieren, mit denen Nora Bossong die deprimierende Weltsicht dieses Romans zu verschleiern scheint, wenn es keinen Anreiz durch eine gute Geschichte gibt. Und am Ende sowie so nur Resignation steht.

EIN ZITAT:
„Ich drehe durch in dieser Stadt. Ich drehe durch in diesem Verein. Wie alles immer weitergeht. Die Hilfskonvois fahren. Die Diktatoren diktieren. Die Sopranisten singen. Und irgendwo schneidet ein Mann, der sonst nicht weiter auffallen würde, Leichensäcke auf, um zu sehen, ob seine Tochter darin liegt.“

Das ist die Botschaft, die leider in einem Wortschwall untergeht, der seinesgleichen nicht oft findet. Ja, man muss diesen Satz herausschneiden und auf ein Podest stellen. Allzu leicht verlöre er sich wieder.

Fazit: Ein forderndes, lyrisches Werk in Romanform, das humanitäre institutionelle Hilfe als Illusion entlarvt und eine große Traurigkeit (darüber) ausdrückt.

Kategorie: Anspruchsvolle Literatur
Verlag: Suhrkamp, 2019
Auf der Longlist des Deutschen Buchpreises, 2019
 

Kommentare

Marshall Trueblood kommentierte am 18. September 2019 um 00:53

Hatte mich nach der Leseprobe von dem Buch verabschiedet...da betrinke ich doch lieber aus anderen Gründen...;-)))