Rezension

Von der Suche einer jungen Frau nach Selbstverwirklichung und Heimat in der Nachwendezeit

Kosakenberg -

Kosakenberg
von Sabine Rennefanz

Bewertet mit 4.5 Sternen

          Kosakenberg - ein Dorf im Brandenburgischen ca. 2h mit dem Zug und eine Autostunde von Berlin entfernt. Zu DDR Zeiten eine stabile Region mit Reifenwerk, Konsum, Ärzten und zahlreichen Infrastruktureinrichtungen und damit auch Beschäftungsmöglichkeiten. Hier wird Kathleen Ende der 1970er geboren, einer weitgehend unbeschwerten Kindheit folgt die schwierige Nachwendezeit, Industrieschließungen, Arbeitslosigkeit und damit der große Exit einer ganzen Generation, die gerade die Schule abschließt und mehr will vom Leben, oft sind es die jungen Frauen, wie auch Kathleen, Protagonistin in Rennefanz‘ Roman, die die Region verlassen. 

Nach dem Abitur studiert sie Grafikdesign und wird mit zahlreichen Praktika und Jobs zu einer der vielen Nomadinnen ihrer Generation, mit zweitweisem Wohnsitz in verschiedenen westdeutschen Großstädten, weit weg von Kosakenberg, der alten Heimat, die immer mehr zur Erinnerung verkommt, welche bei kurzen, seltenen Besuche aufgefrischt wird. Als Kathleen schließlich mit Mitte 20 einen Job in London annimmt, werden die Besuche noch seltener. 

Hier setzt die Erzählung in Kosakenberg von Sabine Rennefanz ein. In Ich-Perspektive von Kathleen erzählt, begleiten wir über knapp 15 Jahre 10 Heimfahrten. Dabei werden wir nicht nur Zeuge des Wandels in Kosakenbergs, sondern auch und das viel wichtiger, einer inneren Transformation Kathleens, in der die Protagonistin sich über viele Jahre versucht selbst zu verorten, in dieser Welt, aber auch ihrem Verhältnis zu ihrer Herkunft.

In Kosakenberg bei den Daheimgebliebenen, selbst ihren Eltern, gibt es wenig Verständnis für Kathleens Lebensweg. Fast schon abwertend wird ihrem Beruf begegnet, in einer Welt in der Arbeit das ist, was man mit den Händen erschafft. 

Gekonnt kontrastiert die Autorin das Leben Kathleens, der Fortgegangenen, mit dem ihrer Mutter, aber auch der Kindheitsfreundin Nadine, die jung Mutter geworden, sich eine Existenz in Kosakenberg aufbaut und einen vollkommen anderen Lebensentwurf als Kathleen verfolgt.

An einigen Stellen waren mir Kathleens Gedanken und die Abneigung und Scham gegenüber ihrer Herkunft zu überzeichnet. Dessen ungeachtet, merkt man, dass die Autorin weiß, wovon sie schreibt, die schwierige Situation und zuweilen befremdliche Atmosphäre in der ostdeutschen Provinz mit allen Brüchen und deren Folgen sind aus meiner Sicht sehr authentisch wiedergegeben.

Für Kathleen gilt die Herausforderung ein Selbst und Lebensmodell zu finden, dass einem nie jemand vorgelebt hat und für das es in der eigenen Sozialisation nur wenige Bezugspunkte gibt, einen neuen, eigenen Ort aufzubauen, der Heimat wird und ist. Es ist ein weiter Weg zu der Erkenntnis, dass sich Vergangenheit nicht abstreifen lässt, sondern nur als Teil von uns selbst zu begreifen ist, aus dem man neben den vielen neuen Erfahrungen ein neues Zuhause entwirft, sowohl in sich selbst als auch an einem Ort seiner Wahl. 

Gerade durch die Authentizität der Erzählung ist Kosakenberg zwangsläufig auch eine Geschichte von starken Frauen, die ihr Leben selbst in die Hand nehmen, sich um Haus, Hof, Einkommen und die Kinder kümmern, die Männer oft abwesend oder wenig hilfreich.

Etwas gestört hat mich, dass die Autorin immer wieder vom Haus als der dritten Haut spricht, fast als ob dies ihre Idee ist, wenngleich der Begriff von Hundertwasser geprägt wurde, den sie jedoch nie nennt. 

Kosakenberg ist ein sehr gut geschriebener und inhaltlich überzeugender Roman, der am Beispiel einer jungen Frau in der Nachwendezeit einen Aspekt der Geschichte einer ganzen Region und Generation erzählt und dabei Themen wie Identität, Heimat und (Herkunfts-)Scham behandelt.