Rezension

Von einer jungen Frau und ihrer gefährlichen Flucht aus der Sklaverei

Underground Railroad - Colson Whitehead

Underground Railroad
von Colson Whitehead

Bewertet mit 4 Sternen

Whiteheads preisgekrönter Roman erzählt von der Flucht der jungen, widerspenstigen Sklavin Cora, die mit Hilfe der titelgebenden „Underground Railroad“, einer Untergrundbahn, dem harten Dasein auf einer Plantage in Georgia entfliehen will.In der Realität beschrieb die Underground Railroad ein geheimes Netzwerk von Fluchtrouten für Sklaven, an dem in der ersten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts, nicht nur Schwarze, sondern auch weiße Gegner der Sklaverei beteiligt waren. Dabei verständigten sie sich über Codes der Eisenbahn (was der ganzen Sache seinen Namen gab); es gab die „Schaffner“, die dafür sorgten, dass die „Passagiere“ an sichere „Stationen“ gelangen, wo sie kurzfristig Unterschlupf finden konnten bis die „Fahrt“ wieder zum nächsten „Bahnhof“ vorgenommen werden konnte.
Whitehead nimmt den Begriff der UR wörtlich und lässt seine Protagonistin mit einer unterirdischen Eisenbahn den gefährlichen Weg in die Freiheit nehmen, der sie durch das ganze Land führt.
Doch zunächst beschreibt der Roman in sehr anschaulichen und dadurch unerträglichen Bildern das harte Leben von Sklaven, die tagtäglich unter der Willkür ihrer teils sadistischen Besitzer leiden müssen. Auspeitschungen, Verstümmelungen, Vergewaltigung sowie psychischer Terror stehen auf der Tagesordnung: „Randalls Besucher schlürften gewürzten Rum, während Big Anthony mit Öl übergossen und geröstet wurde. Den Zeugen blieben seine Schreie erspart, weil man ihm schon am ersten Tag sein Geschlecht abgeschnitten, es ihm in den Mund gestopft und diesen zugenäht hat“.
Es gibt Dutzende solcher brutalen Szenen im Buch, eine schlimmer als die nächste. Es verwundert also nicht, dass Cora, deren Mutter selbst vor Jahren alleine und erfolgreich geflüchtet ist, es ihr nachmachen will. Sodann folgt eine spannende Reise durch verschiedene Staaten, die jeweils auf ihre Art mit der Sklaverei umgehen. Im vermeintlich liberalen South Carolina etwa, wo Cora zwischendurch Halt macht und ihren Frieden meint gefunden zu haben, werden geheime Experimente an Schwarzen durchgeführt. Also geht die beschwerliche Reise für Cora weiter, von einer Station zur nächsten, mal schneller, mal mit Verzögerung. Gleichzeitig ist sie sich wohl im Klaren darüber, welche Strafen sie und auch ihren weißen Fluchthelfern erwarten, wenn sie aufgespürt wird. Doch einmal die Süße der Freiheit geschmeckt, will Cora nicht aufgeben und geht entschlossen und mutig weiter ihren Weg ins Ungewisse.
Coras Persönlichkeit gehört definitiv zu den Stärken des Buches, man bewundert sie für ihren Willen frei zu sein und bangt mit ihr. Daneben fand ich es nach der Lektüre von Heimkehren, das ebenfalls von Sklaverei handelt, erfrischend wie Whitehead ganz frei von Pathos und nüchtern mit dem Thema umging, während Gyasis Sprache einen stark emotionalisierenden Charakter hat, die (zurecht) von Wut und Frustration durchgezogen ist. Whitehead lässt es sich jedoch auch nicht nehmen Amerika für seine (wieder aktuellen) Verbrechen anzuklagen: "Amerika ist ebenfalls ein Trugbild, das größte von allen. Die weiße Rasse glaubt – sie glaubt aus tiefstem Herzen –, dass sie das Recht hat, sich das Land zu nehmen. Indianer zu töten. Krieg zu führen. Ihre Brüder zu versklaven. Falls es irgendwo Gerechtigkeit gibt in dieser Welt, dürfte diese Nation nicht existieren, denn sie beruht auf Mord, Diebstahl und Grausamkeit.“

Insgesamt also ein augenöffnendes Buch, das Unterhaltung wie Erkenntnisgewinn bietet.