Rezension

Von einer Kindheit auf dem Bauernhof - und der Herrschaft von EU-Bürokraten

Das ist mein Hof - Chris Stoop

Das ist mein Hof
von Chris Stoop

Bewertet mit 5 Sternen

Als Chris de Stoop als kleiner Junge von seinem älteren Bruder Melken lernen soll, wird sofort deutlich, dass der Bruder der geborene Bauer ist und Chris die Leidenschaft seines Lebens erst noch finden muss. Chris wird als Erwachsener regelmäßig auf den Hof zurückkehren und seinem Bruder bei besonderen Arbeiten helfen. Den Polderhof in Doel südlich der Westerschelde (direkt am Antwerpener Hafen gelegen) hat der Vater der Jungen in den 50ern des vorigen Jahrhunderts gekauft, direkt nach der großen Sturmflut. Vor ihm schufteten dort bereits Generationen anderer Bauern, um Sumpfland in fruchtbares Ackerland zu verwandeln. De Stoops betagte Mutter kann sich noch daran erinnern, dass Menschen in den Sümpfen an Malaria erkrankten. Sein Bruder hat – wie fast alle seiner Nachbarn – als Bauer keine Frau gefunden, darum gibt es keinen Erben. Als der Autor nach dem frühen Tod seines Bruders Bilanz zieht, ist die Landwirtschaft in Doel am Ende. Nicht etwa, weil Höfe keinen Erben finden, sondern weil der „Naturschutz“ zum härtesten Konkurrenten der Bauern geworden ist. Schon lange haben flämische Bauern Flächen in Frankreich gepachtet oder sind gleich ganz ausgewandert, um weiter als Landwirt arbeiten zu können.

Die Bauern in Doel sollen enteignet werden, damit in der Folge der Erweiterung des Antwerpener Hafens eine Ausgleichsfläche angelegt werden kann. Der Hafenausbau hat zwar schon tausende von Menschen vertrieben, aber nur wenige Arbeitsplätze schaffen können. Vom Aussiedeln der Höfe ist nie die Rede, es gibt keine Übergangsregelungen. Unter dem Mäntelchen des Naturschutzes fällen Bürokraten am Schreibtisch willkürliche Entscheidungen über das Schicksal von rund 1000 Menschen, die ebenso willkürlich geändert werden können. Heute wird beschlossen, dass fruchtbare Weiden wieder Sümpfe werden sollen, morgen kann der Plan bereits Makulatur sein, dann wird der Sumpf eben wieder mit kontaminiertem Hafenschlick zugeschüttet und bepflanzt. Man könnte sich kritisch fragen, ob im direkten Umfeld von Raffinerien Lebensmittel erzeugt werden müssen. Oder wie lebenswert ein Bauernleben ist mitten zwischen industrieller Tomatenerzeugung, Möbelmärkten und Windparks. Eine Enteignung an sich ist für jeden Menschen entwürdigend. Als Spitze der Würdelosigkeit empfinden flämische Bauern es jedoch, von Bürokraten herum geschubst zu werden, die weder von Landwirtschaft noch von der Natur etwas zu verstehen scheinen und allein EU-Vorgaben umzusetzen haben. Schließlich weiß in Doel jedes Bauernkind, dass Rauchschwalben nur nisten, wenn sie ihr Baumaterial auf matschigen Wegen und Misthaufen suchen können. Keine Schwalbe wird in einer Plastikmulde nisten, die ein so genannter Naturschützer dafür installiert. Und was soll aus den Schleiereulen werden, die in den Scheunen der Bauern nisteten? Manch einer hält die Veränderungen für eine Ökodiktatur, die in Totalitarismus umkippen könnte. „Das ist mein Hof“ schleudert der ältere Bruder de Stoop sichtlich beleidigt Kontrolleuren entgegen, die seinen Betrieb auf verbotene Hormone in der Zucht von Milchvieh untersuchen wollen.

Mit akribischer Recherche zur Geschichte seines Dorfes zeigt sich der Autor hier von seiner besten Seite als investigativer Journalist. Chris de Stoops Spurensuche in seinem Heimatdorf ist einerseits die bittere Abrechnung mit der Vertreibung eines ganzen Bauerndorfs durch Naturschutzbürokraten. Es finden sich darin jedoch auch berührende Erinnerungen an eine Kindheit auf dem Bauernhof und die Sorge um seine betagte Mutter, der das Verschwinden ihres Hofes nicht mehr begreiflich zu machen ist.