Rezension

Von Hausgeistern bis zur 68er-Bewegung: Großartig!

Geister - Nathan Hill

Geister
von Nathan Hill

Bewertet mit 5 Sternen

Es ist eine Krux mit besonders dicken Büchern: Eben weil sie so dick sind bleiben sie oft lange ungelesen. Wenn man dann aber mal zu einem greift, ist es meistens ein besonders gutes Buch. So war es auch bei Geister.

Als Samuel elf Jahre alt ist, verlässt ihn seine Mutter. Erst Jahre später – er ist mittlerweile Dozent für Literatur – hört er ganz unerwartet wieder von ihr. Sie soll einen populäern konservativen Politiker angegriffen haben und ist an einen außergewöhnlich harten Richter geraten. Warum dieser Angriff? Was steckt hinter den Gerüchten von Prostitution und Radikalität? Und warum ist sie damals überhaupt so plötzlich aus seinem Leben verschwunden? Gezwungenermaßen begibt sich Samuel auf eine Reise in seine und ihre Vergangenheit und kommt langsam den Ereignissen auf die Spur, die ihrer beider Leben so stark geprägt haben.

Besonders gefallen haben mir die Passagen aus Samuels Kindheit mit Bishop und Bethany. Aber auch Pwnage und die Onlinespielewelt von Elfscape oder Laura Pottsdam waren jedes Mal ein kleines Highlight. Hier hat Nathan Hill auf subtile Art großen Humor bewiesen: Lauras Rechtfertigungen vor sich selbst oder ihre Diskussion mit Samuel waren Gold wert. Ebenso Pwnages Besuch im Biosupermarkt und seine zum scheitern verurteilten Lebenspläne. Ich musste des öfteren Schmunzeln, mochte aber auch Hills Art die beide nicht lächerlich zu machen, sondern durch ihre Schwächen eben besonders menschlich.

Was diesen Roman so mitreißend und abwechslungsreich macht, sind die vielen Erzählebenen: Wir lesen über Samuels aktuelles Leben mit all seinen Problemen und Unsicherheiten aber auch über seine Kindheit seine jüngere Vergangenheit. Wir lernen Pwnage kennen und Profigeigerin Bethany. Wir folgen Samuels Mutter Faye in ihre Kindheit und ihre Teenagerjahre in den 60ern, erleben den krassen Kontrast von propagierter Freier Liebe und der Realität mit verschämten Annäherungsversuchen und einer seltsamen Verklärung des weiblichen Körpers, der unter allen Umständen rein und sauber gehalten werden muss. Wir hören norwegische Mythen von Hausgeistern und bekommen Einblick in die sehr eigene Gedankenwelt einer Collegestudentin. Und wir bekommen einen sehr lebendigen Einblick in die '68er Protestbewegung in Chicago bis zu ihrem gewaltsamen Höhepunkt am Parteitag der Demokraten.

Nathan Hill spielt bei alldem wunderbar mit dem Thema Entscheidungen: War die Entscheidung richtig, die man in einem bestimmten Moment getroffen habe? Und was, wenn ich merke, dass sie falsch war? Auch, wie die Entscheidungen der Eltern oder Großeltern das eigene Leben, ja das große Ganze beeinflussen. Wie weit muss man zurückgehen um etwas in Ordnung zu bringen?

Diese Gedankenspiele passieren ganz nebenbei. Ich war erstaunt wie leichtgängig dieser Roman war, der ja eigentlich einen verlassenen Sohn und seine Mutter zu seinem Hauptthema macht. Aber Hill mischt so viele Themen, so viele Leben, dass einem nie langweilig wird. Mal nachdenklich, mal ironisch, mal traurig, mal lustig führt er durch diese bunte Geschichte über Familie, Verlust, Erwachsenwerden und Vergangenheit. Ein wunderbarer Roman, dessen Figuren ich sehr lieb gewonnen habe und der alle Leser mit einer Vorliebe für weitschweifige amerikanische Familienromane ebenso begeistern dürfte wie mich.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 13. Juli 2019 um 21:42

Der Fokus lag bei meiner Lesart auf den Computerspielen und dem Vereinnahmenden, das sie haben. Jedenfalls ein absolut phantastisches Buch, das einmal mein Jahreshighlight war. Gut, dass du es gelesen hast. Hill, wieder so ein begnadeter Erzähler.