Rezension

von Menschlichkeit, Treue und Stolz

Das rote Halsband - Jean-Christophe Rufin

Das rote Halsband
von Jean-Christophe Rufin

Bewertet mit 3.5 Sternen

Eine französische Kleinstadt im Sommer 1919 ist Schauplatz dieser kleinen und doch so großen Geschichte. Ausgerechnet der ausgezeichnete Kriegsheld Jacques Morlac sitzt als einiziger Gefangener hier in Haft. Sein Vergehen: Er hat den ihm verliehenen Tapferkeitsorden seinem treuen Hund, der ihm in den Krieg gefolgt ist, ans Halsband geheftet, statt ihn selbst zu tragen. Ein Affront gegen die Obrigkeit, der hart bestraft werden kann. Offizier Lantier soll über ihn richten und verhört Morlac vor Ort. Beide Männer sind kriegsmüde, doch während Lantier dem Soldaten gern ein mildes Urteil zusprechen möchte, lehnt dieser jegliche Entschuldigung und Reue als Bedingung dafür ab. Und da ist noch der Hund selbst, der trotz der sengenden Hitze tagein tagaus vor dem Gefängnis sitzt und herzerweichend bellt. Was steckt hinter alldem und gelingt es Lantier, die Motive Morlacs zu durchdringen und ihn so vor der harten Strafe zu bewahren?

Jean-Christophe Rufin benötigt gerade einmal 176 Seiten, um eine beinahe philosophische Kriegsgeschichte mit Wärme zu erzählen. Kein Wort ist zu viel, die Botschaft ist klar. Ein wenig Historie und Einzelschicksale werden mühelos miteinander verwoben, Kritik am Krieg geäußert. Seinen öffentlichen Widerstand erklärt Morlac gegenüber seinem Richter so:

»Nicht ich war der Held, sondern er. Das habe ich gedacht, verstehen Sie? Nicht nur weil er mir an die Front gefolgt und verwundet worden war. Nein, das war etwas viel Tieferes, Radikaleres. Er besaß alle Eigenschaften, die man von einem Soldaten erwartete. Er war treu bis in den Tod, tapfer und ohne Mitgefühl für den Feind. Für ihn bestand die Welt aus guten und bösen Menschen. Es gab ein Wort, um das auszudrücken: Er besaß keinerlei Menschlichkeit. Natürlich, er war ja ein Hund … Aber wir waren keine Hunde, und von uns verlangte man das Gleiche. Die Auszeichnungen, die Orden, die öffentlichen Belobigungen, die Beförderungen, all das diente dazu, Handlungen von Tieren zu belohnen.«

Der Soldat als unmenschliches Tier, alles andere als heldenhaft. Und trotz dieser vermeintlich ehrenwerten Beweggründe soll Morlac jetzt hart bestraft werden. Wie kann das sein? Es ist vor allem diese Frage, die den Leser durch die Seiten treibt. Doch da ist noch etwas anderes, das nicht so recht passen will, denn Morlac ist alles andere als ein ehrenhafter Sympathieträger, er ist Opfer und Täter zugleich. Seinen Hund kann er nicht besonders gut leiden, seine Frau will er nicht sehen. Viele Ungereimtheiten und Fragen, die Lantiers Interesse geweckt haben und die ihn (und den Leser) umtreiben. Wie und ob sich am Ende alles zusammenfügt, das muss man sich selbst erlesen.

»Das rote Halsband« ist ein ruhig erzählter Roman, der von bedingungsloser Treue, Liebe, Menschlichkeit und Stolz berichtet, dabei aber stets beide Seiten jeder Medaille beleuchtet. Ganz ist der Funke bei mir jedoch nicht übergesprungen, und dabei kann ich gar nicht genau sagen, woran es gelegen hat. Vielleicht fehlte es mir ein wenig an Authentizität bei Morlac, nicht immer konnte ich sein Handeln und Denken nachvollziehen. Nichtsdestotrotz eine lohnenswerte Lektüre, die zum Nachdenken anregt und dabei wunderbar unterhält.