Rezension

Von Muldenhockern und Rebellen

Die einzige Geschichte - Julian Barnes

Die einzige Geschichte
von Julian Barnes

Bewertet mit 4 Sternen

Was hatte ich von der einzigen Geschichte erwartet? Vielleicht "so eine französische Beziehung [...]? Eine ältere Frau, die den jüngeren Mann in der Kunst der Liebe unterweist und ihn dann, mit einer elegant verborgenen Träne im Auge, in die Welt hinausschickt - in die Welt der jüngeren, ehetauglicheren Frau?“ (S. 291) Julian Barnes hat mich thematisch überrascht, eventuell sogar überfallen. Auch wenn ich nicht wirklich eine französische Beziehung erwartet hatte, war die Richtung, in die sich die Geschichte entwickelt hat, für mich überhaupt nicht vorhersehbar. Ich hatte mir irgendetwas Himmlisches, nicht unbedingt Kitschiges erhofft, Balsam für die Seele. Bekommen habe ich eine tragische Liebesgeschichte von einem jungen Mann, Paul, der aufopferungsvoll unendlich viel in seine Liebe zu Susan investiert. Doch diese Liebe saugt an seiner Energie, bis Paul nicht mehr kann. Sehr stark kommt dies in folgender Aussage „Manchmal gibt sie sich satirisch, ein andermal missbilligend, aber immer etwas überheblich, als seist du kein sonderlich bedeutsamer Mensch. Für dich ist das alles eine Qual, und du versuchst, dich nicht zu dem Gedanken verleiten zu lassen, du habest es nicht anders verdient.“ (S. 268) zum Ausdruck.

Julian Barnes fügt die Liebesgeschichte von Paul und Susan in das Londoner Vorstadtleben ein. Mit wenigen Details triggert er beim Leser derart die Vorstellungskraft an, womit ein augenscheinliches Gesamtbild von der Kleinstadt und ihren eher kleinkarierten Bürgern entsteht. Überhaupt bringt Barnes ziemlich klug Sprache mit den erzählten Ereignissen in Einklang. Er wechselt geschickt die Erzählperspektiven, um Nähe oder auch Distanz zu den Charakteren zu halten. Er fordert den Leser heraus, indem er ganz bewusst Begründungen für Handlungen weglässt und malerische Ausschmückungen ausspart. So entstehen wahrscheinlich je nach Erfahrungsschatz der Leser ganz unterschiedliche Schattierungen dieser einzigen Geschichte.

Dem jungen Paul und Susan stand ich die meiste Zeit distanziert gegenüber, da die Liebe als langfristige Beziehung zwischen den beiden für mich nicht nachvollziehbar war. In der beschriebenen Konstellation wäre für mich lediglich eine kurze Affäre verständlich. Sympathie entstand erst zu dem gealterten Paul, der philosophisch auf sein Leben zurückblickt, nicht unbedingt mehr den Rebellen "raushängen" lassen musste. Er strahlt eine innere Zufriedenheit aus, wirkt gelassen und weise. Dagegen mochte ich Joan, die Freundin von Susan, von Beginn an sehr gern. Ihre Nebenrolle frotzelt zunächst gern gegen Paul, gibt ihm später aber auch Denkanstöße hinsichtlich seiner Beziehung. Joan ist in ihrer Art verlässlich und konsequent.

Insgesamt hat mir der Roman gut gefallen, insbesondere die sprachliche Umsetzung hat es mir angetan. Ich empfehle ihn gern weiter.