Rezension

Von Nähe und Distanz, von Enttäuschungen und Annäherungen

Dinge, an die wir nicht glauben -

Dinge, an die wir nicht glauben
von Bryan Washington

Bewertet mit 4 Sternen

Mike und Benson sind seit vier Jahren ein Paar. Doch in ihrer Beziehung hat sich ein Graben aufgetan. Sie reden kaum noch miteinander und leben aneinander vorbei. Nun ist Mikes Vater, der in Osaka lebt, schwer erkrankt und Mike entschließt sich dazu, in den letzten Lebenswochen des Vaters für ihn da zu sein. Seine Abreise bedeutet jedoch, dass er seine Mutter Mitsuko mit Benson alleine lässt. Im Folgenden erzählt der Roman in drei Teilen vom Aufeinanderprallen von Kulturen und Generationen, von Verlust und Enttäuschungen, aber auch von Liebe, Annäherung und Verständnis. 

Zunächst hatte ich, ehrlich gesagt, die Befürchtung, dass ich das Buch zu oberflächlich und zu seicht finden könnte. Dass sich dieser Eindruck manch einem Leser zu Beginn aufdrängen mag, liegt sicherlich an der einfachen Sprache, die das Geschehen in kurzen Sätzen und Dialogen wiedergibt. Doch wenn man sich auf Washingtons Erzählstil einlässt, dann öffnet sich eine fiktive Welt, in der Beziehungsprobleme, Kommunikation und Kommunikationsunfähigkeit, Beziehungen zwischen Eltern und ihren Kindern und die Aufarbeitung der eigenen familiären Vergangenheit thematisiert werden. 

Bryan Washington gelingt es auf eindrückliche Weise, die Beziehung zwischen Mike und Ben zu sezieren. Der Roman stellt dar, wie Beziehungen in unserer heutigen Zeit funktionieren. Gleichzeitig öffnet er den Blick auf das Zusammenleben eines scheinbar ungleichen Paares und lässt beide Partner zu Wort kommen. Der Roman wirkt dadurch nie einseitig. 

Neben diesem Aufbrechen des Inneren von Bens und Mikes Beziehung, ist “Dinge, an die wir nicht glauben” auch ein Roman über Familie, über Akzeptanz, darüber, wie es ist, wenn man sich von den eigenen Eltern im Stich gelassen fühlt. Besonders die Beziehung zwischen Mike und seinem Vater nimmt einen großen Teil des Romans ein. Mit dem Tod des Vaters vor Augen, müssen die beiden miteinander auskommen, zueinander finden und all das, was hinter ihnen liegt, bewältigen.  

“Weil sie es nicht mehr ignorieren konnten, nachdem ich positiv getestet worden war, sagte Ben. Das machte mein Schwulsein zu etwas, mit dem sie sich auseinandersetzen mussten. Und das wollten sie nicht. Sie wollten sich nicht damit auseinandersetzen.”

Die vielleicht größte Stärke des Romans ist jedoch, dass Charaktere, die man in zweifacher beziehungsweise sogar dreifacher Hinsicht als marginalisiert bezeichnen könnte, ganz selbstverständlich in den Mittelpunkt gerückt werden, ihnen eine Stimme gegeben wird und dadurch eine Nähe zu ihnen entsteht. Mike ist japanischstämmig, schwul und übergewichtig. Und Benson schwarz, schwul und HIV-positiv. Doch es sind nicht alleine und ausschließlich diese Eigenschaften, durch die sie charakterisiert werden. 

Seien wir ehrlich, manche Dialoge sind vielleicht etwas überzogen oder wirken etwas zu abgehackt, doch wenn man an solchen erzählerischen Details hängenbleibt, dann verpasst man eine Geschichte, die viel zu sagen hat und deren Figuren das Potential haben, einem ans Herz zu wachsen. 

Kommentare

alasca kommentierte am 26. Dezember 2021 um 01:11

Sehr gute Analyse - mir hat das Buch auch sehr gefallen, wenn ich auch die Konflikte der beiden "Helden" nicht immer nachvollziehen konnte - das waren schon sehr "schwule" Welten mit Toleranzen, die Heteros wahrscheinlich nicht aushalten könnten.