Rezension

Von Rehen und Käfern

Gesang der Fledermäuse - Olga Tokarczuk

Gesang der Fledermäuse
von Olga Tokarczuk

Bewertet mit 3.5 Sternen

In meiner Kindheit habe ich Hörspiele geliebt. Während auf dem Kinderzimmerboden weite Weidelandschaften mit Kühen, Schafen und Bauernhöfen entstanden oder das Puppenhaus mal wieder umgeräumt, renoviert und neu möbliert wurde, liefen Märchenkassetten in endloser Wiederholungsschleife durch den Kassettenrekorder. Wir hatten Alf-Kassetten im Repertoire, Bibi Blocksberg und Benjamin Blümchen, TKKG und Disneyfilme in der Hörversion. Später hat sich mit dem ersten Bibliotheksausweis endgültig das geschriebene Wort bei mir durchgesetzt. Wenn ich lese, dann läuft ein rauschendes Kopfkino durch mich hindurch und die neu zu entdeckenden Welten voller Farben und Lebendigkeit ließen die geliebten Hörspiele allmählich verblassen. Ab und zu habe ich mich noch mal an einer Hörversion versucht, aber meistens den Fehler begangen, diese Abends im Bett anzustellen und dann am nächsten Morgen nicht mehr zu wissen, an welcher Stelle des Hörbuches ich in den Schlaf übergegangen bin. Dementsprechend aufgeregt habe ich mir für die Hörversion von Olga Torkaczuks Roman „Gesang der Fledermäuse“ einen Schlachtplan überlegt: In den ersten drei der über acht Hörbuchstunden habe ich das Bett gemieden und stattdessen die Küche aufgeräumt und siehe da der Funke sprang erfolgreich über. Torkaczuk kannte ich bisher als Autorin nicht und ich habe mich auch nicht vorab informiert, sondern bin sehr unbefleckt in die Lektüre gegangen. Auch dies eine gute Idee. Denn so konnte mich der Roman komplett überraschen und ich mich zwischendrin nicht so recht entscheiden, ob ich nun eigentlich einen Krimi, einen Tierschutzroman oder eine Astrologiegeschichte höre. Von allem etwas, wie sich herausstellte. Die Hauptfigur ist eine ältere Dame, deren Name ich weder auszusprechen und noch zu buchstabieren vermag – ein klarer, wenn auch vernachlässigbarer Nachteil des Hörens: man sieht die Buchstaben der Wörter nicht vor sich. Frau Duszejko (wie ich online gespickt habe) lebt auf einem recht einsamen polnischen Hochplateau an der tschechischen Grenze, passt auf die Ferienhäuser der Sommergäste auf und unterrichtet im nächst gelegenen Ort die Schulkinder in englischer Sprache. Sie ist Hobbyastrologin und in der Lage von jedem das Horoskop zu erstellen, sofern ihr Tag und Uhrzeit der Geburt vorliegen. Tiere und Natur sind ihr sehr wichtig und sie hat ein ausgeprägtes Unrechtsbewusstsein bzw. schon eine kleine Manie, was die Tatsache angeht, dass sich der Mensch anmaßt über dem Tier zu stehen. Mit den Jägern der Umgebung steht sie auf Kriegsfuß, da diese in ihren Augen zum Spaß und nicht zum Artenschutz jagen.

Die Handlung beginnt mit einem Todesfall in der Nachbarschaft und in Frau Duszejko setzt sich die Theorie fest, dass die Tiere zurückschlagen und ihren Peinigern das Leben gar aus machen. Der grobschlächtige Nachbar „Bigfoot“ ist erstickt bei der Verspeisung eines gewilderten Rehs, während draußen unweit des Gartens eine kleine Ansammlung von Rehen zu sehen war. Einige Zeit später wird der Hauptkommissar der örtlichen Polizei tot aufgefunden und der Besitzer einer Fuchsfarm vermisst. Überall an den sich allmählich häufenden Tatorten sind Spuren von Tieren zu finden und bald flüstert die gesamte Ortschaft von den mordenden Tieren. Zwischen den einzelnen Todesfällen hat Frau Duszejko viel Zeit, um mir ihre Ansichten zum Leben mitzuteilen. Ich bin nicht sicher, ob mir dies als Leser gefallen hätte, aber als Hörer mochte ich ihren Abschweifungen und ihrem Sinnen und Dozieren tatsächlich gern folgen. Die Sprache Tokarczuks hat mich positiv überrascht, ihr Sprachwitz und ihre tiefe Sympathie für diese alte skurrile Dame, der sie Raum zum Erzählen und Wettern gibt. Die Wendung in der Geschichte habe ich nicht kommen sehen, vielleicht weil mir die Übung im Hören fehlt. Insgesamt betrachtet ist dieses Experiment für mich geglückt und ich werde das Buch demnächst auch noch einmal lesen, einfach nur weil ich neugierig bin, welche Dinge mit vielleicht beim Hören entgangen sind.