Rezension

Von Sex und Surrealismus

Es ist Sarah - Pauline Delabroy-Allard

Es ist Sarah
von Pauline Delabroy-Allard

Bewertet mit 4 Sternen

Auf den ersten Blick eine leichte Lektüre, wenn man darüber nachsinnt, entdeckt man eine literarische Strömung.

Ganz unerwartet wird die namenlose, in Paris lebende Icherzählerin von der Liebe zu der Violonistin Sarah überrollt. Es ist eine Art feindliche Übernahme über ihr gesamtes Leben. Noch nie hat die Erzählerin eine solche umfassende Obsession erlebt. Denn eine Obession ist es. 

 Ob es auch Liebe ist, wird nicht ausgelotet im Roman, obwohl viel von Liebe die Rede ist. Auch von einer Art Seelenverwandtschaft. Alles scheint zu passen. Die Erzählerin lässt sich in einen Liebesrausch fallen. Doch so schnell wie der Rausch begonnen hat, ist er auch wieder vorbei. 

 

 Was die einen fasziniert, langweilt die anderen. Nämlich die Schreibweise dieses Romans, der in kurzen Sätzen mit viel Wortwiederholungen, Atemlosigkeit zu vermitteln vermag. Doch reicht es als Charakterisierung, wenn man hundertmal schreibt „sie ist so lebendig“? Die grünen Augen von Sarah haben mich nicht ganz so gefesselt wie die Autorin sich das vorgestellt hat und ihre Schlupflider haben mich auch nicht glücklich gemacht. 

 Hannah Lühmann schreibt (deshalb) 21.08.2019 in der „Welt“: 

„Der glamouröseste Roman der französischen Gegenwartsliteratur ist die Geschichte einer Amour fou zwischen zwei Frauen. Warum aber bleibt man von dieser virtuosen Erzählung letztlich so unberührt?“

 Weil er Charaktere nicht auslotet und dies auch nicht tun will. Und weil er mit surrealistischen Momenten und Anteilen spielt, die ja gerade eine Identifikation verhindern möchten, aber ein Gefühl nach vorne bringen wollen. Der Surrealismus ist nichts als ein Gefühl. 

Ja, man sucht in dem Roman vergeblich nach Inhalt. Sexistische Reizwörter beschreiben schnörkellos die Liaison. Die Liebe bleibt unhinterfragt. Obwohl sie von der einen Seite rücksichtslos ausnutzend gelebt wird und von der anderen stalkerhaft bis ins Krankhafte gesteigert ist. 

 Man weiß nur Marginales von den beiden Frauen. Es wird angedeutet, skizziert. Und dabei bleibt es. Aber das ist Absicht. Es ist gewollt und nicht etwa nicht gekonnt. 

 Die Liebeskizze, die eine krankhafte, alles verschlingende Obsession darstellt, hat seine Reize. Aber sie ist bleibt unausgeformt. Ein Bild in Pastell, bei dem die Pastelltöne oft sogar bis zur Unkenntlichkeit von Konturen  verschwimmen. 

 Im zweiten Teil ist man nicht mehr ganz sicher, wer hier spricht. Ist es immer noch die selbe Erzählerin oder ist es nicht doch Sarah, die im Todesdelirium phantasiert und die Fakten vermengt, durcheinanderbringt? Wir wissen es nicht. Das Ende ist auf alle Fälle strange. 

 

 Aber Pauline Delabroy-Allard kann sich auch ganz wunderbar audrücken: "Seit wir zu zweit sind, herrscht die Magie." Das ist kurz. Und genial.

"Der Winter, der mit leisen Schritten vorbeigeht, während wir dem Schnee beim Fallen zusehen". Das ist einfach. Und schön.

Fazit: Der moderne weibliche, französische Roman scheint im Moment sexistisch zu sein und mit surrealistischen Anteilen zu spielen. Der surrealistische Anteil versöhnt hier, genau so wie bei Leila Slimani. Die modernen Schriftstellerinnen brechen mit den alten Erzähl-Formen. Sie experimentieren. Sie spielen. Das muss einem nicht gefallen, man kann es aber honorieren. Kunst muss sich weiterentwickeln.

Kategorie: Moderner französischer Roman
Frankfurter Verlagsanstalt, 2020