Rezension

Von verlorenen Söhnen und gehorsamen Töchtern streng religiöser Parallelgesellschaften

Worauf wir hoffen - Fatima Farheen Mirza

Worauf wir hoffen
von Fatima Farheen Mirza

Bewertet mit 4 Sternen

Die Ehe zwischen Laila und Rafik wird auf traditionelle Weise geschlossen; der Bräutigam hat die Braut zuvor nur kurz aus der Ferne gesehen. Ihre Familien gehören der Religionsgemeinschaft der Schiiten in Hyderabad an. Glück ist damals, wenn man Rituale absolvieren und die Erwartungen anderer erfüllen kann. 30 Jahre später trifft sich die Familie an ihrem amerikanischen Heimatort zur Hochzeit der ältesten Tochter Hadia. Der Sohn Amar hatte einige Jahre zuvor im Streit die Familie verlassen und Hadia hofft nun auf eine Versöhnung mit ihm. Die Hochzeitsvorbereitungen wirken stark ritualisiert, so dass ich mich gefragt habe, ob das Brautpaar sich die traditionelle Feier wünscht oder ob die Fassade einer heilen Familie demonstriert werden soll.

Rückblenden führen in unterschiedliche Altersstufen der Geschwister. Rafik regierte mit unnachgiebiger Strenge; den Töchtern wird eingeschärft, dass es für sie keine Freundschaft mit gleichaltrigen Mädchen geben darf und man sich nur auf die Familie verlassen kann. Gegenüber der Umwelt, die Laila und Rafik ihre Kinder zu entfremden scheint, sichert der Vater seine Familie wie in einer Festung ab. Beide Eltern reflektieren kaum, ob die heimatlichen Werte und Rituale in der neuen Umgebung sinnvoll sind. Die neunjährige Hadia „darf“ sich für den Hijab entscheiden; kein Kopftuch zu tragen, wäre eine unentschuldbare Sünde. Als Älteste wird ihr die Verantwortung für die Geschwister übertragen und beiden Schwestern die Verantwortung dafür, dass Amar sich zu dem Jungen entwickelt, den sein Vater wünscht. Amar war ein schwieriges Baby, ging nur ungern zur Schule und rebelliert noch immer gegen alle Werte seines Vaters. Laila verwöhnt den Sohn, verhält sich den unproblematischen Töchtern gegenüber kühl und wirkt völlig hilflos. Die Ungleichbehandlung von Söhnen und Töchtern darf in der Familie nicht angesprochen werden. Dass Mädchen weniger geliebt werden, weil sie später zu einer anderen Familie ziehen werden, diese Zurückweisung wird lange an Hadia zehren. Sie tritt die Rolle an, die für Amar vorgesehen war, studiert schließlich Medizin, noch ohne zu ahnen, welches ihre eigenen Ziele sind.

Der Roman besteht aus vier Teilen und wird im Präsens und in verschachtelten Rückblenden erzählt. Die ersten drei Teile verharren in der (Opfer-)Haltung von Laila und den Kindern, die den strengen, aufbrausenden Vater erleiden. Dass innerhalb der Rückblenden keine Reifung der Figuren und damit keine Reflektion zu erkennen ist, macht den Roman m. A. nach schwer lesbar. Erst im letzten Teil, rund ein Jahrzehnt nach der Hochzeit, kommt Rafik zu Wort und wendet sich direkt an Amar. Durch eine Erzählperspektive, das sich auf das Erleben von Frau und Kindern beschränkt, kann jeder seine Geheimnisse wahren. Die Eltern erhalten so keine Chance ihr Verhalten zu reflektieren und die Kinder können sich nicht damit versöhnen, dass selbst katastrophale Erziehungsfehler einmal im guten Glauben an das Beste für die Kinder geschahen.

Mirzas anrührender Roman wirkt stilistisch eher schlicht; er spielt in der unmittelbaren Gegenwart und ist deutlich von den Ereignissen von 9/11 (2001) geprägt. Das Genre Familienroman und der Focus des Klappentextes auf Geschwisterrivalität wird dem Roman m. A. nicht gerecht; denn darin wird u. a. die Frage aufgeworfen, ob sich streng religiöse Parallelgesellschaften weiter entwickeln können oder zum Stillstand verdammt sind. Warum und wie die verlorenen, verwöhnten Söhne dieser Gemeinschaften so viel mehr Aufmerksamkeit einfordern als ihre folgsamen Schwestern, auch diese Frage ist nicht zu übersehen.