Rezension

Von wegen Muttermacht

Böse Mutter - gute Mutter - Sam Jolig

Böse Mutter - gute Mutter
von Sam Jolig

Anhand verschiedener Begriffe die Psyche betreffend stellt Jolig zeigt Jolig auf, dass an unserem Ganzen Sein unsere Mütter Schuld haben.

Anhand verschiedener Begriffe die Psyche betreffend zeigt Jolig auf, dass an unserem Ganzen Sein unsere Mütter Schuld haben. Jeder Mensch wäre seine Mutter und noch etwas mehr, so drückt sie es aus und lässt den Vater dabei ziemlich im Abseits. Ab und An gibt sie zwar zu, dass es ihn gibt und dass seine Position zur Mutter, bzw. die Position der Mutter zu ihm auch wichtig sei, er selbst spiele aber keine Rolle, nein, er könne das, was die Mutter ihm durch die Schwangerschaft und Stillzeit voraus hat, gar nicht aufholen und wolle das ja auch nicht, wie unsere Gesellschaft zeigt.

Spätestens hier schreie ich innerlich auf. Dass die Gesellschaft den Mann in diese Rolle drückt und im Gegenzug die Mutter als Leitfigur für das Kind deklariert, wird ziemlich außer Acht gelassen. Auch die Fälle, die nicht nur wünschenswert, sondern durchaus schon die Realität sind, wenn auch selten, in denen Väter sich die Aufgabe der Kindererziehung und –pflege mit der Frau teilen oder gar hauptsächlich übernehmen, ignoriert Frau Jolig absolut. Fadenscheinig finde ich es aber prinzipiell die Rolle des Vaters für die Psyche so klein zu reden, denn natürlich prägt auch die Vaterfigur jeden Menschen von klein auf entscheidend.

Unverständlich wird es für mich auch, wenn die Autorin in den Beispielen, die sie zur Veranschaulichung reichlich eingestreut hat, die Mutter als dem Vater untergeben aufzeigt. Diese Beispiele zeigen stets, in welchen Positionen sich die betroffenen „Klienten“ in Bezug auf ihre Eltern sehen. Strikt festgelegt ist von der Analyseseite dabei, an welcher Stelle „normalerweise“ Mutter und Vater und Kind(er) zu stehen haben. Stellt ein Klient aber seine Mutter auf die „falsche“ Seite, sagt das sofort, dass sie dominant sei, über den Vater herrsche und ihm damit seine natürliche Position beraube, was beim Kind eine Störung verursachen würde.

In welchem Jahrhundert – und an dieser Stelle schreie ich nicht mehr, ich weine nicht, ich schüttle nicht meinen Kopf, ich starre fassungslos auf die Seiten – leben wir, wenn eine starke Frau, die in einer Beziehung den Ton angibt, als „krankhaft“ angesehen wird, als dem Mann seiner Macht raubend, seiner fest vorgeschriebenen Stelle in unserer Ordnung? Mal davon abgesehen, dass Frau Jolig auch immer gerne darauf verweist, eine berufstätige Mutter schade dem Kind, weil sie ja keine Zeit für es habe. Die Macht der Mutter, die laut Untertitel Thema sein soll, ist dann also doch nur die der artigen Hausfrau, die maximal ein paar Stunden arbeiten geht und dem Manne alles bereit hält, wenn er heim kommt, schon allein, weil sie sonst ihrem Kind psychische Störungen verursache.

Ja, verdammt, ich dramatisiere hier. Ich übertreibe, vielleicht auch maßlos. Denn es gibt natürlich die feinen Stellen, die sagen, dass es Kinder gibt, die mehr oder weniger „Muttermacht“ brauchen, dass Frauen ein Recht haben, arbeiten zu gehen und sich zu verwirklichen. Im Großen und Ganzen aber steht unterm Strich: Eine Frau, die Mutter ist, verliert sich selbst, denn wenn sie nicht alles tut, was laut Jolig richtig ist, wird ihr Kind psychisch krank.

Die psychischen Auffälligkeiten, die die Autorin dann nennt, sind auch noch so allgemein verfasst, dass sie für alle und niemanden zutreffen. Sich selbst darin zu finden, ist leicht, mehrmals sogar. Mischtypen seien eigentlich normal, was mich zur Frage bringt, ob diese Einteilung dann überhaupt sinnvoll ist. Denn wenn eh jeder hier und da zu einem oder mehreren der genannten Typen gehört, ist die Aufregung doch ziemlich umsonst. Dann geht es weniger um Muttermacht, als um die Akzeptanz, wie wir sind. Immerhin geht es in den letzten 20 Seiten dann auch noch um „richtige“ Meditation, um eben das zu schaffen und mit sich ins Reine zu kommen. Wer dazu seiner Mutter die Schuld geben muss, darf das Buch gerne lesen, interessant war es allemal, und ich konnte mich mal wieder so richtig aufregen.