Rezension

Vorwärts lesen, rückwärts verstehen

Morgen, morgen und wieder morgen -

Morgen, morgen und wieder morgen
von Gabrielle Zevin

Bewertet mit 5 Sternen

Eine zeitlose Ode an Videospiele, Kreativität und die Kraft der Freundschaft

Sadies Schwester hat Krebs. Während einem ihrer häufigen Krankenhausbesuche lernt Sadie Sam kennen. Sam, der Videospiele liebt und seit Wochen kein Wort mehr gesprochen hat. Zwischen den beiden beginnt eine zarte Freundschaft, die ebenso schnell endet, wie sie begonnen hat.
Doch als die beiden Jahre später wieder aufeinandertreffen, bringt ihr altes Hobby sie einander näher denn je...

„Morgen, morgen und wieder morgen“ ist ein Roman im Setting der 90er von Gabrielle Zevin.

Sadie ist eine sehr kraftvolle Protagonistin. Man muss sie nicht mögen und nicht immer ihrer Meinung sein, aber trotzdem kann man sie verstehen.

Sam ist zu Anfang der Geschichte undurchsichtig, dich wir erfahren immer mehr über ihn und besonders gegen Ende hin entwickelt er sich unglaublich weiter.

Auch unliebsame Figuren haben positive und geliebte Figuren zeigen ihre negativen Seiten. Aber es gibt keine klare Rollenverteilung, wodurch dieses Buch unfassbar erfrischend und realistisch ist. Die Charaktere wurden nicht für die Leser geschrieben, sie existierten bereits, die Autorin hat ihre Geschichten einfach auf Papier festgehalten. Gleichzeitig fühlt man sich als Leser wie ein Teil des Freundeskreises.

Der Schreibstil ist meisterhaft - nüchtern und trotzdem ausdrucksstark. Eine große Besonderheit ist der beinahe völlige Verzicht auf wertende Formulierungen. Alles wird der eigenen Interpretation überlassen und ergibt dadurch ein, an die eigene Wahrnehmung und Persönlichkeit angepasstes, stimmiges Bild.

Das Buch ist eher ein Lebensepos, als ein kurzweiliger Ausschnitt aus Sams und Sadies Geschichte. Es spielt über einen langen Zeitraum und bedient sich immer wieder, scheinbar willkürlicher, Rückblicke und wechselnder Perspektiven. Für mich ergaben alle Entwicklungen Sinn, sie fühlten sich nicht forciert an, außer wenn genau dieser Eindruck vermittelt werden soll.

Die 90er sind definitiv präsent. Großartig fand ich vor Allem die Aufarbeitung und Interpretation von, damals wie heute, aktuellen Themen wie Sexismus, Rassismus und kultureller Aneignung, welche damals zwar existent, aber nicht sichtbar waren. Es gibt außerdem queere Repräsentation, ohne dass sie dem Leser aufgedrückt oder besonders beworben wurde.

An alle Gaming-Skeptiker: Keine Angst vor der Videospiel-Thematik. Alles wird verständlich erklärt und Gabrielle Zevin konnte in mir eine große Lust wecken, mich näher mit Videospielen zu beschäftigen.

Es gibt eine Menge lehrreicher Momente, sowie wichtiger und schöner Aussagen. Poetisch, aber nicht kitschig und gleichzeitig unfassbar inspirierend. Die Autorin fängt kreative Prozesse authentisch ein, die beim Lesen unheimlich viel Spaß machen. Die Liebe zur Kunst ist in jeder Zeile zu spüren.

Man wird dieses Buch auch in Jahren noch lesen und verstehen können. Es ist zeitlos.

Ich habe die Geschichte sehr genossen und mir richtig Zeit genommen, sie auf mich wirken zu lassen. Das letzte Kapitel habe ich lange vor mir hergeschoben, einfach weil ich nicht wollte, dass es endet. „Morgen, morgen und wieder morgen“ konnte mich begeistern, wie schon lange kein aktuelles Buch mehr.

Interessieren dich die 90er, Videospiele und komplexe Charaktere? Egal ob ja oder nein, dieses Buch trotzdem genau das Richtige für dich!