Rezension

Wahnsinn auf ganzer Linie

Die Zelle - Jonas Winner

Die Zelle
von Jonas Winner

Bewertet mit 4.5 Sternen

Ein Wahnsinnsbuch – in vielerlei Hinsicht.

Sammy, gerade 11 Jahre alt und mit seinen Eltern gerade nach Berlin gezogen, erzählt, was er in diesem Sommer und den langweiligen Ferientagen entdeckt hat. Unter dem Garten der Villa im Grunewald gibt es geheime Gänge und Räume, die er an einem Nachmittag durch Zufall entdeckt. Es ist völlig verstört, als er in einem dieser Räume, einer „Zelle mit Gummiwänden“ ein dunkelhaariges Mädchen entdeckt. Er versucht sich mit ihr zu verständigen und er ist erschrocken über ihren Ausbruch, als er seinen Vater holen will.
Am nächsten Tag ist das Mädchen nicht mehr da, Sammy sieht durch das kleine Guckloch nur noch rohe Betonwände. Der Vater, wenig erfolgreicher Filmkomponist, schlägt sich mit Auftragsarbeiten für offensichtliche Horrorfilme durch, denn er ist stets „auf der Suche nach den richtigen Klängen für seine dunklen Filme“. Sammy lebt mit diesen wiederkehrenden Erklärungen der Mutter und des Vaters, aber das Misstrauen hat von ihm Besitz  ergriffen.
Von seinem älteren Bruder erfährt Sammy zudem Dinge, die er in seiner noch kindlichen Sichtweise weder verarbeiten noch richtig einordnen kann. Immer wieder erlebt er Situationen, die für ihn nichts anderes als Angst vor dem Vater nach sich ziehen. Er will etwas sagen, will sich der Mutter anvertrauen, aber alle wiegeln ab, bitten ihm um Verständnis für den Vater.
Neben dieser von Sammy erzählten Erinnerung an den Sommer vor zwanzig Jahren gibt einen weiteren Erzählstrang, der anscheinend die gewalttätigen und zum Teil mehr als abstoßenden Phantasien eines noch unbekannten Täters wiedergeben. Auch der Leser glaubt, dass hier nur der Vater gemeint sein kann. Wird er am Ende eines Besseren belehrt?
Irgendwann weiß sich Sammy nicht mehr zu helfen und läuft in Panik aus dem Haus, beinahe direkt vor ein Taxi. Der Fahrer steigt aus, erkennt zumindest, dass hier irgendetwas gar nicht stimmen kann und ruft die Polizei. Mit deren zunächst sehr zurückhaltenden Ermittlungen werden Ereignisse in Gang gesetzt, die sich irgendwann nicht mehr kontrollieren lassen.
Sammy freundet sich mit einem gleichaltrigen Mädchen vom Nachbargrundstück an und, obwohl er versprochen hat, nicht mehr über diese Dinge zu sprechen, erzählt er der neuen Freundin von seinen Entdeckungen und Vermutungen. Er zeigt ihr sogar die unterirdischen Räume …. und jetzt gerät alles in Sammys Leben aus den Fugen.
Spätestens jetzt konnte ich das Buch kaum noch aus der Hand legen, eine gute Grundspannung war für mich aber schon von Anfang an vorhanden, weshalb ich auch schon vorher sehr zügig weiter gelesen hatte. Das Ende der Geschichte bleibt in gewisser Weise offen, bestätigt aber auch Sammys und des Lesers Vermutung. Doch zwanzig Jahre später, in zwei Mitschriften von Gesprächen, offenbart sich, was damals wirklich geschah und was mich das Buch beinahe fassungslos aus der Hand legen ließ.
Mit hat dieser Roman von Jonas Winner sehr gefallen, ebenso wie sein Buch DER ARCHITEKT, auch wenn beide Bücher verstörend sind und ganz gewiss nichts für zartbesaitete Leser. Ich werde es sicher empfehlen.