Rezension

Wahrheit und Liebe, das war mein Credo!

Die einzige Geschichte - Julian Barnes

Die einzige Geschichte
von Julian Barnes

Bewertet mit 5 Sternen

Paul ist erst (schon/noch) 19 Jahre alt als er die Mittvierzigern Susan Macleoad kennen lernt. Aus der Partnerin beim gemischten Doppel wird seine erste, seine einzige große Liebe, zu einer Zeit, als für derartige Beziehungen noch keine Worte wie „Cougar“ oder „Toyboy“ höchstens „Skandal“ gab. Susan entzieht sich ihrer unglücklichen Ehe mit Gordon, Paul und Susan leben jahrelang ihre unkonventionelle Liebe. Doch das große Glück gibt es nicht, es ist überschattet von Entwicklungen, die Paul  bald nicht mehr in der Hand hat.

Julian Barnes lässt Paul die Geschichte, diese einzige Geschichte der Liebe erzählen. Es sind die Erinnerungen eines alternden Mannes, der auf seine Leben, zurückblickt. Auf ein Leben als Paul noch jung und ungestüm ist,  sich über die gutbürgerlichen miefigen Glaubenssätze seiner Eltern und deren Generation hinwegsetzt. Im Tennisklub umgeben von lauter „Hugos und Carolines“ sollte er nach dem Willen der Eltern ein nettes Mädchen finden. Doch es ist Susan, an die er sich verliert. Beide sind sie in Sache Liebe und Sexualität unerfahren, er aufgrund seiner Jugend, sie aufgrund ihrer lieblosen Ehe.

Paul will nicht verstehen, sondern erleben. Die Intensität, das Verlangen, die Wahrheit der Liebe.

„Wahrheit und Liebe, das war mein Credo. Ich liebe sie, und ich sehe die Wahrheit. So einfach muss es sein.“

Paul fühlt sich gleichaltrigen Kollegen überlegen, da er doch das weitaus interessantere Leben, das keinen moralischen Zwängen unterliegen würde, führe. Er war kein Muldenhocker, kein Mitglied einer abgehalfterten Generation.

Erst im Scheitern beginnt er sich von Susan zu entfernen. Später wird er sein Leben, seine Liebe, seine Erinnerungen analysieren

„Welche Erinnerungen sind wahrer, die glücklichen oder die unglücklichen?“

Paul merkt, dass er diese Frage nicht beantworten kann, dass Mitgefühl und Gegnerschaft nebeneinander bestehen könne, dass sich scheinbar unvereinbare Gefühle nebeneinander entfalten können.

Die Erzählperspektiven wechseln von Abschnitt zu Abschnitt vom kraftvollen Ich des Aufbegehrens, dem zweifelnden Du im Zeitpunkt des Versagens und der dritten Person in der Aufarbeitung.

„Zwei Menschen, erste Person und zweite Person: du und ich, ein Ich und ein Du. Aber inzwischen war das Ungestüm der ersten Person in ihm zur Ruhe gekommen. Es war, als betrachte – und lebe – er sein Leben in der dritten Person.“

Ich kann nicht erklären, warum mich dieses Buch emotional so erwischt hat. Ich habe nichts dergleichen erlebt wie Susan oder Paul – nicht in dieser Form - und trotzdem macht es mich zutiefst traurig. Dafür muss ich Mr. Barnes wohl ein großes Lob aussprechen! Ich würde auch in Frage stellen, dass bei der Geschichte zweier Menschen die sich lieben oder liebten, es nur eine Geschichte gibt. Meistens gibt es zwei, vor allem wie es anfing, und ganz besonders, wie es endet. Und doch ist es deren und damit einzige Geschichte, die nur für sie und nur so füreinander geschrieben wurde. Es lässt mich selbst Erlebtes oder die Erinnerungen daran hinterfragen.

„Würden Sie lieber mehr lieben und dafür mehr leiden oder weniger lieben und weniger leiden? Das ist, glaube ich, am Ende die einzig wahre Frage.“ Mit diesem Satz beginnt dieses Buch, es ist das Alpha und Omega dieser Geschichte.