Rezension

Warmherzig, lebensklug, ein bisschen skurril – kein Krimi

Kalmann - Joachim B. Schmidt

Kalmann
von Joachim B. Schmidt

Bewertet mit 5 Sternen

Ein Verschwundener, eine Blutlache und Kalmann, selbst ernannter Sheriff, geistig ein wenig zurückgeblieben - ein isländisches Abenteuer

"Alles, was bisher passiert war, die ganze Geschichte, war in Ordnung so. Es ist die Unordnung des Lebens … sonst wäre es ein Film." (191)

Dieser Satz passt gut zum Buch, das mir großen Spaß gemacht hat und das ich nicht mit realen Maßstäben messen möchte, vor allem nicht das Ende.

Wir haben es mit einer sehr ungewöhnlichen Hauptperson zu tun. Der etwas 30-jährige Ich-Erzähler Kalmann, Haijäger und selbst ernannter 'Sheriff von Raufarhöfn, einem kleinen isländischen Dorf, ist geistig leicht behindert, wahrscheinlich wegen 'Ärztepfuschs'. Seine Mutter kümmert sich zwar liebevoll um ihn und ist immer für ihn da, aber alles, was er kann und ist, hat er seinem Großvater zu verdanken.

So stellt Kalmann nicht nur den besten Gammelhai Islands her, sondern hat auch Regeln, an denen er sich orientiert, z.B. 'lügen nur, wenn man jemanden beschützen will' (29). Zudem macht er sich kluge Gedanken über alles, was er beobachtet.

'… es kommt der Moment im Leben, wo man nichts Neues mehr wissen muss, weil man alles einfach schon mal gehört hat. Man hat begriffen, wie das Leben funktioniert und darum hat man einfach genug gehört.' (Kalmann über den dementen Großvater, 348)

Damit rückt der Autor nicht nur das Bild des Lesers von einem Behinderten zurecht, sondern man erfährt auch ganz nebenbei eine Menge über Island, über den Niedergang kleiner Orte, die Meeresverschmutzung, aber auch über die Schönheit der Natur, des Meeres.

Kalmann entdeckt eine Blutlache im Schnee und der 'König' des Ortes, der Besitzer der Fischfangquoten, ist verschwunden. Polizei überschwemmt den Ort und ermittelt, ob ein Mord vorliegt. Bis zum Schluss bleibt der Leser im Ungewissen und man weiß nicht, ob es gut oder schlecht ausgehen wird. Aber ein Krimi ist dieses Buch dennoch nicht. Es ist eher eines über die Lebens- und Gedankenwelt von Kalmann und in manchen Gesprächen ist Gesellschaftskritik versteckt (Muslime, Vorurteile gegen Fremde, was ist ein Kommunist? Wie sind die Amerikaner?)

Auch der Humor kommt nicht zu kurz: der Großvater stuft Kalmanns Defizite so ein: 'es gäbe weitaus größere Idioten da draußen...' (17). Dem kann man unumwunden zustimmen. Oder: 'Eins habe ich an dem Tag da oben beim Arctic Henge gelernt: Unter einem Eisbären ist es dunkel.' (324)

Wie die Geschichte nun ausgeht, ob es Kalmann weiterhin gut geht, ob tatsächlich jemand ermordet wurde – das muss der Leser selbst herausfinden. Für mich war es jedenfalls ein warmherziges Lesevergnügen, bei dem ich auch noch einiges gelernt habe