Rezension

Warten auf Godot… ehm Cecilia

Tage ohne Cecilia -

Tage ohne Cecilia
von Antonio Muñoz Molina

Der Titel von Becketts Theaterstück ist mittlerweile zur Redewendung geworden, meinend ein Zwang zu langem und vergeblichem Warten. Unser Ich-Erzähler in dem Roman von Molina ist ein älterer Mann, der aus New York mit dem gesamten Hausstand nach Lissabon umgezogen ist. Jetzt fehlt eigentlich nur noch seine Frau, Cecilia, die als anerkannte Neurowissenschaftlerin ständig im Labor oder auf Tagungen unterwegs ist. Vielbeschäftigt, weshalb sie, laut dem Ich-Erzähler, erst verspätet in Lissabon, dem gemeinsamen Altersruhesitz, ankommen wird. Die Tage vergehen und gehen ineinander über, man verliert beim Lesen das Zeitgefühl, aber dieses scheint der Erzähler auch verloren zu haben, wie so einiges anderes.

Sprachlich ganz herausragend bietet Molina hier die psychologische Studie eines Verstandes, der im Warten zergeht. Stolz erzählt der Protagonistin von den Forschungen seiner Frau und weiteren neurologisch-psychologischen wissenschaftlichen Erkenntnissen, aber auch von dem während des Wartens aus der Hausbibliothek angelesenen Wissens. So vertieft sich der Erzähler in der Autobiografie („Alone“) von Richard E. Byrd, der fünf Wintermonate allein in einer antarktischen meteorologischen Station verbrachte und scheinbar ähnliche Angstsymptome zeigte, wie auch unser Erzähler. Denn das sind die Themen, die sich durch die Gedanken des Erzählers und die Arbeit seiner Frau ziehen: Angst, Trauma, Krisensituationen. Der Erzähler überlebte mit seiner Frau 9/11 und schnell wird klar, dass sich seitdem in seinem Leben immer mehr verschiebt.

Moline erzählt dieses Kammerspiel dabei mit einer ruhigen, gefassten Stimme, nimmt sich Zeit für Beschreibungen und erhöht damit nur umso mehr die Spannung welche sich von Seite zu Seite steigert. Was ist mit Cecilia los, will man im Laufe des Buches immer dringender erfahren. Bevor sich der Autor zum fulminanten Finale aufmacht, stockt jedoch die Erzählung zu Beginn des letzten Drittels ein wenig. Zu ausufernd wird eine Szenerie geschildert, die später - meine Erachtens - keine tiefgreifende Rolle mehr spielt. Auch sprachlich erschient mir diese Passage weniger reizvoll wie der Rest des Buches. Der Autor findet jedoch zu seiner alten Stärke zum Schluss noch einmal zurück. Atemlos liest man die letzten Seiten und steigt vollends in die Psyche des Protagonisten ein. Das Ende lässt viele Deutungen zu, erscheint mir - so wie ich es deute - jedoch nicht komplett plausibel für die Lesenden. Dass das Denken des Protagonisten nicht immer plausibel und ihm auch nicht immer zu trauen ist, wissen wir zu diesem Zeitpunkt schon lange.

Dieser absolut lesenswerte Roman entführt seine Lesenden in die Psyche eines Mannes und in dessen Lissabonner Wohnung gleich mit. Bei kleineren Abstrichen zum Plot entscheide ich mich für die 4-Sterne-Bewertung bei insgesamt 4,5 Sternen. Ein wirklich feinfühliger Roman, der ganz anders als „Warten auf Godot“ nicht „nur“ zur Redewendung verkommen sondern definitiv auch tatsächlich gelesen werden sollte.