Rezension

Warten auf Leben

Ich erwarte die Ankunft des Teufels - Mary Maclane

Ich erwarte die Ankunft des Teufels
von Mary Maclane

Dass Mary Maclanes „Tagebuch“ anstrengend sein würde, hatte ich erwartet – und das war es auch. Hundert Seiten pro Tag (und mehr) sind bei mir keine Seltenheit. Bei Mary war ich schon mit 30 Seiten am Limit.

Das lag daran, dass ich mit Mary eine Zeitreise in die eigene Vergangenheit angetreten bin. Wenn Du weiblich und kein IT-Girl bist: Kannst du dich daran erinnern, wie es war, als du 19 warst? Ich kann es – wieder, Mary hat dafür gesorgt. Was aber Maclane von mir unterscheidet, ist ihre Fähigkeit, diese Mischung aus Langeweile, Überdruss, Einsamkeit, Verzweiflung und Sehnsucht in Worte zu fassen. „Niemand versteht mich, niemand. Werde ich nicht endlos und für alle Zeiten meine öde Straße alleine gehen?“ Dazu „… all diese glosenden Gefühle…“ Ein emotional ziemlich anstrengender Text. Dennoch bin ich bei der Stange geblieben.

Denn gelangweilt habe ich mich nie, obwohl ich das befürchtet hatte. Marys Überzeugung, ein Genie zu sein, ihre permanenten Schleifen der Selbstbespiegelung bleiben interessant, weil sie auch immer wieder Schleifen ins Außen dreht. Und weil der Text tatsächlich Beweise für ihre Besonderheit liefert. Die Parallele zwischen der empfundenen Ödnis ihres Lebens und der öden,  von Bergbau vergifteten Landschaft um Butte, Montana, die sie oft in langen Wanderungen durchstreift, ist geschickt inszeniert. Auch Menschen versteht sie zu erfassen, wie die  „… alte, weltgesäuerte, runzelgesichtige Frau“. Sie hat keine sozialen Berührungsängste und fühlt sich von den unteren Klassen der Stadt angezogen, die sie für authentischer hält. Dabei entstehen erstaunlich gekonnte Mikro-Porträts, und zwar mithilfe der  „…Wirksamkeit scheinbar trivialer Fakten bei der Darstellung des (eigenen) Charakters.“ Witzige und pointierte Dialoge schreiben kann sie auch; vor allem ihre imaginären Gespräche mit dem Teufel, dem sie ihre Liebe anträgt, sind denkwürdig.

Das Stilmittel der Wiederholungen, die fast akustisch auf mich gewirkt haben wie ein an- und abschwellender Ton, beherrscht sie perfekt. Und gerade, wenn man ihr genervt Selbstbetrug vorwerfen will oder Egozentrik oder Dekadenz, oder ihre schrecklichen, schrecklichen Doppeladjektive, nimmt sie einem den Wind aus den Segeln: „… ich bin eine Schwindlerin in keinem geringen Ausmaß. Vielleicht spüren Sie es, wenn Sie diese Analyse lesen.“ Denn: „Wenn man nichts hat, ist es gut, sich ein Auftreten zuzulegen.“ Sie weiß, dass es ihr objektiv gut geht und auch um ihren Narzissmus: „Mein Leben ist voll mit selbst.“ Gleichzeitig wäre ihr das größte Leiden recht, sie würde die Geliebte des Teufels, käme damit endlich ein GROSSES Gefühl. Nichts ist so unerträglich wie das Warten darauf, dass das Leben endlich beginnt.

Ich erinnere mich gut. Und war erleichtert, das Buch beendet zu haben.

Zum Schluss möchte ich noch das Nachwort der Übersetzerin würdigen, die mich motiviert hat, Butte, Montana zu googlen. Wieder was gelernt. Ebenso interessant das Nachwort von Juliane Liebert, die Marys Leben für uns zusammenfasst. Mary war in vielem ihrer Zeit voraus. In ihrer Liebe zu ihrem „schönen, starken Frauenkörper“ war sie sogar unserer Zeit voraus. Und ihr Ziel, Ruhm zu erlangen, hat sie mit diesem „Tagebuch“ erreicht. Insgesamt fand ich MacLane und ihren Text beeindruckend – ein Buch, das man nicht so schnell vergisst.

Mary, ich hoffe, der Teufel hat dich geholt.