Rezension

Warum?

Deine kalten Hände - Han Kang

Deine kalten Hände
von Han Kang

Bewertet mit 4 Sternen

Der Bildhauer Jang Unhyong ist von Kindheit an angezogen vom Verborgenen. Seine Skulpturen sind Gipsabdrücke von Händen und Körpern. Doch eines Tages verschwindet er spurlos. Er hinterlässt ein Manuskript über sein Leben, seine Faszination und Begierden.

 

Ausgehend von der Frage "Warum?" Warum schafft er seine Kunstwerke auf diese besondere Weise, fragt sich der Bildhauer. "Warum ist die Mitte meines Lebens so absolut hohl?" (S. 27) Es ist keine so ungewöhnliche Frage, die sich der Bildhauer stellt. Von Kindheit war er umgeben von Menschen, die eine Maske trugen. Die Mutter, die nach außen immer ein Lächeln trägt, innen aber kalt und lieblos war. Der immer schweigende strenge Vater. Schon als Kind ist Unhyong ein Beobachter, will den Menschen genau betrachten, sein Inneres sehen. "Jedes Mal, wenn ich mir diese verborgenen Details vorstellte, bebte mein junger Körper vor Aufregung. Ich brannte darauf, sie zu sehen. Ich wollte den Menschen die verletzliche Hülle abziehen, um ihr Inneres zu sehen."(S. 34)

Zwei Frauen prägen Unhyong: Der Bildhauer lernt L. kennen, eine junge extrem übergewichtige Frau, von deren titelgebenden Händen er fasziniert ist. Der sozial sehr zurückgezogene Bildhauer beendet seine selbstgewählte Einsamkeit. Er und L. bilden eine Zweckgemeinschaft, die an L‘s selbstzerstörerischem Verhalten scheitert. Auch später ist der Bildhauer zu keiner gewöhnlichen zwischenmenschlichen Bindung fähig. Es ist die Gier nach menschlichen Abdrücken, die ihn antreibt. Auch E., deren Gesicht zwar wunderschön aber gleichzeitig kalt und wie maskiert wirkt, verbirgt etwas.

Han Kang hat Deine kalten Hände schon 2002 verfasst, 2019 ist es nun erstmals in deutscher Sprache erschienen. Vieles in diesem Buch erinnert an ihr Werk Die Vegetarierin (2007, deutsch 2016). Auch hier gibt es Frauen die ein sehr spezielles Verhalten zeigen und ein Künstler versucht, sie und ihren Körper zu vereinnahmen.

Die Sprache der Autorin ist poetisch, präzise und verwirrend gleichermaßen. In ihrem Text steckt unendlich viel an Symbolik: Welchen Abdruck im Leben hinterlässt ein Mensch. Was tut er, um die Leere in seinem Inneren zu füllen. Was passiert hinter den Masken und was fühlt der Mensch, wenn ihm diese Maske schmerzhaft abgezogen wird. Vieles bleibt zum Schluss rätselhaft und offen.