Rezension

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Was alles schiefgehen kann

Die Herzen der Männer - Nickolas Butler

Die Herzen der Männer
von Nickolas Butler

Bewertet mit 2 Sternen

 

(Spoiler hier und da)

Das Buch startet mit dem jungen Nelson Doughty. Er wird im Pfadfinderlager von den übrigen Teilnehmern schikaniert, steht aber seinen Mann. In dem Buch wird ständig die Frage gestellt, welche Art von >>Mann<< man sei. Der Titel verrät schon vermeintlich viel über die Geschichte. Für mich selbst kann ich sprechen, dass ich dieses Buch niemandem empfehlen würde. Hier nun einige Punkte, warum nicht.

Das größte Manko liegt bei der Struktur und den Figuren.

Das Buch ist mehr oder weniger in drei Teile aufgeteilt. Der erste Teil handelt von Nelson als Dreizehnjährigen und seinen Schwierigkeiten, Freunde zu finden. Was auch der beste Teil im gesamten Buch ist. Hier zeigt Butler seine größte Stärke. Auf sehr gekonnte Weise bringt er dem Leser die Figur von Nelson näher, seine Gefühle und Wünsche und allen voran seine Einsamkeit. Nur Jonathan Quick zeigt Anzeichen von freundschaftlichem Verhalten gegenüber Nelson, doch als wahre Freunde habe ich sie nicht empfunden. Nach dem ersten Teil verliert der Leser Nelson allerdings aus den Augen. Er bleibt Teil der Geschichte, aber verschwommen und unnahbar. (Auf den nächsten 300 Seiten (!) ist Nelson die Nebenfigur).

Der Autor trennt die Abschnitte jeweils durch 20-30 Jahre. Dann spiegelt sich auch praktisch das Leben von dem ersten Hauptprotagonisten Nelson und der zweiten Person, Trevor. Dann besteht der zweite Teil nur aus einem Barbesuch und anschließendem Stripclub. 140 Seiten lang. Viel zu lang. Die Struktur des Buches sieht wie folgt aus: Pfadfinderlager Teil 1, eine Bar+Stripclub, Pfadfinderlager Teil 2, Ende. Im Stripclub wird eine Prostituierte beschrieben, ihr Körper, mit folgenden Worten: „ihr Körper sieht… so vollkommen anders aus. Er ist atemberaubend. Ein Wunder.“ (274). Übertreib, Butler.

Die Zeitsprünge bringen auch neue Hauptcharaktere in den Mittelpunkt, zu denen man schwer eine Bindung aufbauen kann und die Abschnitte leiden darunter, an Langeweile, fehlender Spannung und Empathie. Die Hauptcharaktere spielen keine große Rolle mehr.

Die tollen ersten Charaktere haben sich sehr verändert und die neuen Charaktere sind weniger interessant und oberflächlicher beschrieben. Die Geschichte schwebt spannungslos vor sich hin.

Der Autor verpasst es, eine ausgezeichnete Studie von der besten Figur im Buch – Nelson – zu schreiben. Nur eine Hauptfigur und nur ein Handlungsstrang, wären dem Buch besser bekommen. Die weiteren Figuren wirken fade und fehl am Platz. Nach dem ersten Abschnitt fehlt die Lust, das Buch wieder zur Hand zu nehmen.

Sprachlich ist es gut geschrieben. Ein natürlicher Schreibstil, an einigen Stellen etwas „blumig/poetisch“, und an einigen Stellen für mich etwas over the top, wie z.B. Wörter wie die „blauweiche Umarmung“. Es gibt auch Charaktere, die einen fruchtbar wütend machen. Emotionen kann Butler hervorlocken.

Einige Handlungen der Figuren sind für mich unverständlich geblieben. Die Gründe, weshalb eine Person so und nicht anders gehandelt hat, bleibt manchmal nicht nachvollziehbar. Der Autor sagt etwas über eine Figur, die dem Leser ganz anders beschrieben wird.

Ein großes Problem ist für mich auch, nach fast 500 Seiten nichts Neues gelernt zu haben. Keine neue Perspektive oder neue Einblicke. Die Herzen der Männer? In der Geschichte sind sie entweder Feiglinge, Verbrecher oder Helden. Die Frauen in dem Buch werden entweder geschlagen von Männern, bezahlt von ihnen, im Stich gelassen, oder Schlimmeres. Es gab eine starke Frauenfigur, die sich zur Wehr gesetzt hatte, am Ende dann vergewaltigt wird. Das Verbrechen hat keinerlei Auswirkungen für sie. Keinerlei. Warum nutzt der Autor denn diese Szene?  Als Kontrast zu dem tugendhaften Nelson und Trevor?

Was würde ein Junge aus diesem Buch mitnehmen für sich?

Butler versucht, die Beziehungen zwischen Männern und Frauen und zwischen Männern und Männern und zwischen Vätern und Söhnen darzustellen, er versucht es mit vielen Zeitsprüngen wohl spannender zu gestalten, er will zeigen, wie wichtig es ist für junge Leute ein gutes Beispiel, ein Idol, oder Ähnliches zu haben, eine gute Erziehung, einen Verhaltenskodex, der Autor will zeigen wie ein männliches Leben aussieht, brutal, gewalttätig, die ständigen Kriege, der Alkoholkonsum, alles, was dazugehört.

Butler zeigt in den Figuren auch die Natürlichkeit des Fehlermachens. Es ist normal zu weinen. Mut muss man zeigen. Aber ist das etwas Neues, neues Wissen, welches mir mit unrealistischen Handlungen dargelegt werden muss?

Ich finde, die Geschichte ist ziemlich verstreut und der Autor kratzt an der Oberfläche und spuckt allgemeingütiges aus, und die Enttäuschung ist groß, hätte er nach diesem wunderbaren ersten Teil anders weitergemacht, sich selbst mehr gefordert. Es gibt ein paar Denkanstöße, es gibt auch ein oder zwei grandiose Passagen, doch im Gesamtpaket bleibt die Geschichte und v.a. ihr Potential ungenutzt. Es gibt noch einige Punkte, die ich ansprechen könnte. Aber ich denke, mein Standpunkt ist deutlich. Gäbe es nur den ersten Teil, wäre das Buch besser.