Rezension

Was am 14. Junni 1940 begann

Die Toten vom Gare d’Austerlitz -

Die Toten vom Gare d’Austerlitz
von Chris Lloyd

Bewertet mit 4 Sternen

„...Zweierlei geschah am 14. Juni 1940. Vier Unbekannte starben in einem Bahndepot, ein Fünfter Mann sprang vom Balkon. Es geschah noch mehr am 14. Juni 1940...“

 

Mit diesen Sätzen beginnt ein spannender Roman, der in Paris spielt. Und genau das geschah noch an diesem Tag noch: Die deutsche Wehrmacht marschierte in Paris ein.

Inspecteur Giral aber interessiert zuerst, wer für die Toten ohne Ausweis und ohne Habe verantwortlich ist. Sie wurden mit Gas vergiftet. Währenddessen beobachten deutsche Soldaten sein Tun. Bald stellt sich heraus, dass die Toten aus Polen stammen. Dies gilt auch für den Mann, der mit seinen kleinen Sohn in den Tod gesprungen ist. Wovor hatte er so panische Angst?

Der Autor hat einen abwechslungsreichen historischen Krimi. Einerseits darf ich Giral bei seinen Ermittlungen begleiten, andererseits erlebe ich die ersten Tage der deutschen Besatzung mit all ihren Unwägbarkeiten.

Der Schriftstil passt sich den Gegebenheiten an. Mit Eddie Giral hat der Autor eine interessante Persönlichkeit kreiert. Er fungiert als Erzähler der Geschehnisse. Gleichzeitig führt er mich als Lese ins Jahr 1925. Die Gifttoten am Bahnhof haben alte Erinnerungen zurückgerufen. Es sind Erinnerungen an den Ersten Weltkrieg, die Giral für sein Leben geprägt haben. Das bewirkte zum einen, dass er sich von seiner Frau und seinen kleinen Jungen getrennt hat, als er merkte, dass er für beide zu einer Gefahr werden könnte. Die andere Seite des Giral besteht darin, dass er selbst mit der Pistole aam Kopf seinem Gegenüber angstfrei in die Augen blicken kann. Das verunsichert manchen.

Mit den Blick fürs Detail berichtet Giral von dem Verhalten der Besatzer.

 

„...Unsere Straßen gehörten jetzt den Deutschen; unsere Rolle war es, ihnen Platz zu machen...“

 

Major Hochstetter von der Abwehr ist der Verbindungsoffizier zur Polizei. Er erlaubt Giral, im Falle der Toten weiter zu ermitteln. Gleichzeitig wird im Verlaufe der Handlung deutlich, wie viele unterschiedliche Strömungen bei den deutschen Offizieren gibt. Abwehr und Gestapo sind sich nicht grün. Die Geheime Feldpolizei gilt als Tarnung für die Gestapo. Manch einer kocht sein eigenes Süppchen und will die Amerikaner ins Boot holen. Giral bewegt sich mit seinen Ermittlungen zwischen allen Fronten. Hinzu kommt, dass er Kontakt zu Exilpolen aufnimmt, die sich ebenfalls für die Hinterlassenschaften des Toten interessieren.

Ab und an ist Girals Sarkasmus nötig:

 

„...Das musste man den Deutschen lassen. Ihre Nachrichten waren noch unglaubwürdiger als unsere zuvor. Bis gestern hatten die Zeitungen uns immer wieder erzählt, wir hätten das Blatt es Krieges gewendet...“

 

Als nach 16 Jahren bei Giral plötzlich sein Sohn vor der Türe steht, hat er ein weiteres Problem. Er hat selbst erlebt, wie ein junger Franzose von Deutschen erschossen wurde. Nun muss er sich mit Jean – Luc und seiner Vergangenheit auseinandersetzen und gleichzeitig dafür sorgen, dass sein Sohn keine Dummheiten macht.

 

„...Krieg entfremdet uns von uns selbst, Jean-Luc. Und wir kehren nie mehr zurück...“

 

Giral weiß, wovon er spricht. Sein Leben ist der beste Beweis dafür, wie zerstörerisch Erfahrungen aus dem Krieg sind. Dass dies nicht nur für ihn gilt, zeigt sich in einem kurzen Gespräch mit einem älteren deutschen Unteroffizier:

 

...“...Die wissen nicht, was Krieg ist.“ Er sah mich an. „Wir schon. Wir haben Dinge gesehen, die sie nie sehen werden.“...“

 

Doch auch in der Polizei gibt es Probleme. Manch einer heißt die deutschen Besatzer willkommen und verspricht sich von ihnen ein besseres Leben.

Am Ende klärt Giral nicht nur den Mord auf, er durchschaut auch das komplexe Lügengeflecht er Besatzer.

Das Buch hat mir sehr gut gefallen. Giral würde ich als Antihelden bezeichnen. Er bringt auf seine unnachahmliche Art genau deshalb das Geschehen sehr konzentriert auf den Punkt.