Rezension

Was bedeutet es wirklich, Dornröschen zu sein ...

A Wicked Thing - Rhiannon Thomas

A Wicked Thing
von Rhiannon Thomas

Bewertet mit 4 Sternen

Auch wenn das Buch auf dem Märchen von Dornröschen basiert, spielt es in einer High Fantasy-Welt, die aber natürlich trotzdem sehr märchenhaft anmutet. Da man als Leser*in aber wie Aurora im Schloss gefangen ist, bekommt man ebenso wie sie nur Bruchstücke aus der Welt außerhalb dieses Schlosses mit.

Ich fand dieses ganze Konzept ziemlich cool, sich vorzustellen, was es wirklich bedeutet, nach hundertjährigem Schlaf aufzuwachen, vor allem durch den Kuss eines Fremden. Was es bedeutet, sich in einer fremden Welt wiederzufinden, in Intrigen verstrickt zu werden und von allen nur in Form eines wunderversprechenden Märchens gekannt zu werden, das jedoch romantisiert und die Realität verklärt. So war zum Beispiel die Zeile von der wahren Liebe in dem echten Fluch gar nicht enthalten, trotzdem erwarten alle von Aurora, dass das stimmt. Die Idee hinter dem Ganzen mochte ich also sehr.

Tatsächlich mochte ich auch Aurora. Dass sie keine Kick Ass-Protagonistin war, fand ich durchaus nachvollziehbar. Aurora hat ihr ganzes Leben eingesperrt in einem Turm verbracht, weil ihre Eltern sie vor jeder Gefahr beschützen wollten, somit fand ich es nachvollziehbar, dass sie in einigen Aspekten unsicher war.
Gleichzeitig war sie aber auch nicht so naiv, wie ich es befürchtet hatte. Sie wurde von ihrer Mutter darauf gedrillt, sich wie eine perfekte Prinzessin zu verhalten, hatte aber schon immer einen leicht rebellischen Charakter und träumte davon, eines Tages das Schloss zu verlassen und die Welt zu entdecken, während sie lange der Einsamkeit im Turm vor allem durch Geschichten entkam.

Ich fand es authentisch, dass sie verwirrt ist, überwältigt, orientierungslos in einer ihr fremden Welt und dass sie die ihr bekannte vermisst. Dass sie erst mal allen Anweisungen folgt, weil sie keine andere Leitlinie mehr hat. Trotzdem erkennt sie auch schnell, inwieweit sie benutzt wird, auch wenn sie nur in kleinen Dingen rebelliert - Widerworte gegen die Königin, Herausschleichen in der Nacht.
Sie versucht sich in der neuen Situation zurechtzufinden, und ist gleichzeitig keine naive Prinzessin, sondern nur eine, die dazu erzogen wurde, sich wie eine folgsame Prinzessin zu verhalten.

Generell hatte ich das Gefühl, dass die meisten Charaktere sehr tiefgründig aufgebaut sind. Zum Beispiel die manipulative, strenge und harte Königin, die letztendlich vor allem von Bitterkeit erfüllt ist, oder Prinz Rodric, der selbst immer mit dem Erwartungsdruck kämpft. Oder eben seine Schwester, die Aurora in mancher Hinsicht an ihre eigene Kindheit erinnert.

Zugegeben, die Handlung beschränkt sich größtenteils darauf, wie Aurora versucht, sich in der Gegenwart zurechtzufinden und noch recht wenig Eigeninitiative ergreift, sodass das Ganze kein fesselndes Actionabenteuer ist, auch wenn ich den Spannungsbogen auch nicht direkt als flach empfunden habe. Nichtsdestotrotz scheint die Handlung erst am Ende so richtig ins Rollen zu kommen, was Spannung für den Abschluss der Dilogie weckt.

Fazit: Eine Geschichte darüber, was es wirklich bedeuten würde, Dornröschen zu sein. Dadurch, dass dieser Band sich vor allem darum dreht, wie die innerliche starke, aber zur Zurückhaltung erzogene, unsichere und durch die Geschehnisse orientierungslose, kurz: sehr authentisch handelnde Protagonistin versucht, sich in der ihr neuen Welt zurechtzufinden, gerät die Handlung erst zum Ende hin wirklich ins Rollen, weiß aber definitiv schon vorher zu unterhalten und eine märchenhafte, aber auch intrigante Welt zu entführen.