Rezension

Was die Geschichtsschreibung vergessen hat

Die Erfindung der Flügel - Sue Monk Kidd

Die Erfindung der Flügel
von Sue Monk Kidd

Bewertet mit 5 Sternen

Dieses Buch hat mich sehr überrascht. Ich hatte mit der Geschichte einer ungewöhnlichen Freundschaft gerechnet: Die weiße Lady und das Sklavenmädchen. Die haben wir hier auch, aber gleichzeitig noch sehr viel mehr.

Anfang des 19.Jahrhunderts lebten in Charleston mehr schwarze als weiße Menschen. Die Schwarzen waren aber in der Regel Sklaven unter der Knute der weißen Minderheit, die ihre Vorherrschaft als gottgegeben betrachteten.
Dort spielt diese Geschichte und beginnt damit, dass Sarah Grimké , Tochter eines angesehenen Anwalts, zu ihrem 11. Geburtstag das Sklavenmädchen Handful geschenkt bekommt. Ein Geschenk, das sie ablehnt, weil sie keinen Menschen besitzen will. 

Sarah ist anders. Sie ist wissbegierig und liest gerne. Am liebsten würde sie Anwalt werden wie ihr Vater. Das ist aber zu dieser Zeit für Mädchen illusorisch. Männer regieren die Welt. Frauen müssen sich still und dekorativ unterordnen, da ist Bildung nur störend, ein Beruf undenkbar.
Handful ist auch nicht das Paradebild einer devoten Sklavin. Sie hat von ihrer Mutter den Wunsch nach Freiheit in die Wiege gelegt bekommen und sucht nach Schlupflöchern, um ihrem Alltag zu entrinnen. 
Als begabte Näherinnen fertigen die beiden kunstvolle Quilts an, die immer wieder mit schwarzen Dreiecken besetzt sind, einem Symbol für die Flügel der Schwarzdrosseln, die in Afrika als Freiheitssymbol gelten.

In kurzen Kapiteln erzählen Sarah und Handful abwechselnd ihre Geschichte über die nächsten 40 Jahre hinweg. Eindrucksvoll wird geschildert, wie beide in einem Leben gefangen sind, das sie nicht wollen, wie sie versuchen, daraus auszubrechen und immer wieder Rückschläge erleiden.
Gleichzeitig erlebt man Sklaverei in Amerika, Befreiungsbewegungen, Aufstände und den Beginn der Frauenrechtsbewegung.
Ganz erstaunlich fand ich, dass in dieser Gesellschaft eine Quäkergemeinde als vergleichsweise weltoffen galt. 

Das Nachwort verrät dann, dass es Sarah Grimké wirklich gab. Sie gilt, gemeinsam mit ihrer Schwester Angelina, als eine der ersten Frauenrechtlerinnen und wichtige Abolitionistin. Die beiden waren zu ihrer Zeit berühmt und berüchtigt, sind aber heute vollkommen unbekannt. Das verleiht diesem Buch noch einmal eine ganz besondere Würze. 
Es erzählt sehr lebendig ein wichtiges Stückchen Historie, das die Geschichtsschreibung vergessen hat und gehört jetzt schon zu meinen Lieblingsbüchern dieses Jahres.

Kommentare

LySch kommentierte am 03. Mai 2017 um 09:54

Schöne Rezi! Das Buch klingt sooo toll und da es mittlerweile auch als Taschenbuch erschienen ist, wird es demnächst einmal einfach mitgenommen *hihi* Bin schon oft drumrum geschlichen...