Rezension

"Was für ein Glück, dass dieses Buch geschrieben wurde!"

Der Vorleser
von Bernhard Schlink

Bewertet mit 4 Sternen

Sie ist reizbar, rätselhaft und viel älter als er...und sie wird seine erste Leidenschaft. Sie hütet verzweifelt ein Geheimnis. Eines Tages ist sie spurlos verschwunden. Erst Jahre später sieht er die wieder. Die kriminalistische Ergorschung einer sonderbaren Liebe und bedrängenden Vergangenheit.

Der Vorleser von Bernhard Schlink

Dieser Bestseller von Bernhard Schlink aus dem Jahr 1995 wurde in über 35 Sprachen übersetzt und ist eines der wenigen deutschen Bücher, die es auch in den Vereinigten Staaten auf die Bestsellerlisten geschafft haben.

Handlung: In dem 206 Seiten langen Werk geht es um die Lebenserinnerungen des etwa 50-Jährigen Juraprofessors Michael Berg. Er erzählt von seiner (im Leben zentraler) Liebesbeziehung, die er als 15-Jähriger mit der rund 20 Jahre älteren Frau Hanna Schmitz einige Monate lang pflegt. Er liest ihr täglich vor, was eine Art von Liebesritual darstellt. Eines Tages verlässt sie plötzlich die Stadt und Michael sieht sie einige Jahre nicht, bis er als Jurastudent einen Prozess verfolgt, in der Hanna Schmitz wegen ihrer früheren Tätigkeit als SS-Aufseherin angeklagt ist. Michael versucht in seiner Erzählung davon zu berichten, wie er es verarbeiten konnte, eine Mörderin geliebt zu haben.

Sprache: Die Sprache ist einfach und klar gehalten. Der Protagonist stellt viele rhetorische Fragen an den Leser, der somit gut ins Werk eingebunden ist und gezwungen wird, seinen Kopf anzustrengen.

Interpretation: Es sind vom Leser vier wesentliche Haltungen gefordert.
Der Autor Schlink, der ebenfalls Juraprofessor ist und viele Gemeinsamkeiten mit dem Protagonisten aufweist, darf nicht mit der Figur Michael Berg verwechselt oder verglichen werden.
Das Werk fordert gegenüber den Erzählungen Michael Bergs eine kritische Lesehaltung. Dieser Roman kann nur als gelungene Nachkriegsliteratur angesehen werden, wenn wir die Aussagen des Erzählers hinterfragen. Er möchte nämlich sein Verhalten gegenüber Hanna Schmitz rechtfertigen und das gelingt nur, in dem er ihre Taten zu verstehen versucht.
Die Figuren dürfen nicht als alleinige Stellvertreter von Tätern (Hanna Schmitz), Richtern und anderen Gruppen angesehen werden.
Der Roman von Schlink ist kein historischer Roman und sollte nicht als ein solcher gelesen werden. Einige Begebenheiten (z.B. bei der Darstellung der SS-Tätigkeiten) sind zugunsten der Geschichte abgeändert. Auch hier ist der kritische Leser gefragt.

Fazit: Der Vorleser entzieht sich der häufig formulierten Kritik, die Täterin Hanna Schmitz zu entlasten, wenn der Leser sich gegen die Ausführungen Michael Bergs stellt. Somit ist das Buch keine leichte Lektüre (diese Lesart ist durchaus möglich), sondern fordert den Kopf des Lesers. Die Sprache ist nicht überladen, das Buch ist nicht zu lang. Meiner Meinung nach ist 'Der Vorleser' neben Günter Grass' 'Blechtrommel' eines der wichtigsten Werke deutscher Nachkriegsliteratur und kein Liebesroman. Unbedingte Empfehlung!