Rezension

Was für ein wunderschöner und einfühlsamer Roman!

Kostbare Tage
von Kent Haruf

Bewertet mit 5 Sternen

Kent Haruf ist ein Erzählkünstler! Unglaublich, wie er es mit seiner ruhigen und unaufdringlichen Art zu schreiben schafft, dass seine Geschichte einen mitten ins Herz trifft. „Kostbare Tage“ ist ein wundervoller Roman über die Liebe, das Abschiednehmen, Hilfsbereitschaft und Anteilnahme. Ein Lesegenuss, der mich außerordentlich berührt hat!

Für Dad Lewis und seine Frau Mary ist es ein schwerer Schicksalsschlag, als sie erfahren, dass er sterbenskrank ist und ihm nur noch wenige Monate bleiben. In Holt, einer kleinen Stadt in Colorado, haben sie sich eine gemeinsame Zukunft mit einem Eisenwarenladen aufgebaut und Kinder bekommen, die es in die weite Welt gezogen hat. Ihre Tochter Lorraine  kehrt zurück und möchte ihnen zur Seite stehen, doch ihr Sohn Frank bleibt spurlos verschwunden. Nachbarn und Freunde sind tief betroffen und machen sich Sorgen und Gedanken, wie es jetzt wohl weitergeht. Ablenkung bekommen sie durch die neu Hinzugezogenen. Reverend Lyle und seine Familie haben keinen leichten Stand im Ort und ihr Sohn John Wesley würde am liebsten wieder zurück nach Denver ziehen. Mit offenen Armen hingegen wird jedoch die kleine Alice aufgenommen. Sie muss sich erst an das neue Leben bei ihrer Großmutter Berta May gewöhnen und erlebt eine herzliche Fürsorge von lieben Menschen.

Es war unheimlich schön, wieder Gast in Holt sein zu dürfen. Kent Haruf hat mich schon mit seinen beiden Vorgängerbänden „Lied der Weite“ und „Abendrot“ durch seine wundervolle und sensible Erzählweise begeistert. Er hat eine unglaubliche Beobachtungsgabe und stellt Orte und Handlungsplätze so bildlich und seine Charaktere mit ihren Stimmungen und Eigenheiten so lebendig und authentisch dar. Beim Lesen hat man das Gefühl, selber ein Mitglied der Gemeinschaft und unter Freunden zu sein. Sein Hauptaugenmerk in dieser Geschichte legt er auf die große Liebe zwischen Dad Lewis und Mary und ihre Art, die Krankheit von ihm gemeinsam durchzustehen, die verbleibende Zeit mit allen Sinnen zu nutzen und bis zum Schluss füreinander da zu sein. Die beiden lesend dabei zu beobachten wärmt einem das Herz und ihr Abschied hat mich zu Tränen gerührt. Wenn ein Autor dies schafft, hat er alles richtig gemacht. Unheimlich schön wurde auch Lorraines liebevolle Fürsorge für ihre Eltern dargestellt. Alle denken in dieser schlimmen Situation auch an Frank und als Leser fragt man sich natürlich, was vor einiger Zeit passiert ist, dass er nicht zu ihnen eilt. Doch auch die Geschichte von anderen Bewohner aus Holt haben mich gefesselt. John Wesleys Zerrissenheit war bedrückend und er hat mich mit seiner nicht vorhersehbaren Handlung entsetzt. Mein Herz im Sturm erobert hat die kleine Alice.  Es ist schön mitzuerleben, wie aus einem ernsten und nachdenklichen Kind durch Nächstenliebe ein kleiner Wirbelwind voller Lebensfreude wird. Auch Willa und ihre Tochter Alene haben ihr Päckchen zu tragen und manchmal regelt das Leben die Probleme von ganz alleine.

Mein Fazit:

„Kostbare Tage“ war ein unheimlich schönes und bewegendes Leseerlebnis für mich. Wer eindringliche und ruhige Geschichten mit vielen Gefühlen liebt, wird hier voll auf seine Kosten kommen. Von mir bekommt dieser wunderschöne Roman eine unbedingte Leseempfehlung und hochverdiente 5 Sterne.

 

Kommentare

Brocéliande kommentierte am 09. Juli 2020 um 22:58

Eine wirklich schöne und gelungene Rezension, die ich nur vollständig unterschreiben kann. Bis auf Frank - "anderssein" verdient auch Respekt - und darauf wollte Kent Haruf ebenfalls ein "Augenmerk" lenken. Der Mensch kann halt schlecht über seinen Schatten springen - sollte er aber zuweilen ;)

LG B.

Gina1627 kommentierte am 09. Juli 2020 um 23:10

Danke schön! Ja, das stimmt. Er hat Franks Charakter mit seiner Art  auch sehr gut dargestellt. In meiner Rezension wollte ich aber nicht zu viel darüber verraten.

Brocéliande kommentierte am 09. Juli 2020 um 23:25

Kann ich gut nachvollziehen und ist auch richtig - hab mich da auch sehr "vage" geäußert, das sollte man sich "erlesen" ;)