Rezension

Was für eine tief bewegende, wundervolle Geschichte

Zwischen uns ein ganzes Leben - Melanie Levensohn

Zwischen uns ein ganzes Leben
von Melanie Levensohn

Bewertet mit 4 Sternen

Meine Meinung
Ihr kennt mich - Romane über den Holocaust und den Zweiten Weltkrieg berühren mich immer auf ganz besondere Art und Weise. Bei Melanie Levensohns Roman "Zwischen uns ein ganzes Leben" kommt noch hinzu, dass die Geschichte auf wahren Begebenheiten beruht und diese haben mich schon vor dem Lesen sehr bewegt und mitgenommen. Ich finde es deswegen toll, dass an den Roman ein Interview mit der Autorin angehängt ist, in dem sie von der Frau erzählt, die sie zu ihrer Geschichte inspirierte. Irgendwie hat dieses Interview mich nach dem Lesen noch einmal richtig getroffen und abgeholt.

 

Aber vor allem ist es natürlich der Roman, der mich mitten ins Herz getroffen hat. Melanie Levensohn erzählt einerseits die Geschichte der jungen Jüdin Judith, die im Paris der 1940er zunehmend unter der deutschen Besatzung leidet, sich inmitten dieser grausamen Zeiten unsterblich verliebt und schließlich spurlos verschwindet. Parallel dazu schildert sie, wie Judiths Halbschwester Jacobina mehr als 50 Jahre später ein altes Versprechen einlösen und Judith finden möchte, gemeinsam mit der erfolgreichen Béatrice, die in ihrem Leben selbst gerade so manche Turbulenzen durchmacht. Diese Ausgangssituation gefällt mir unwahrscheinlich gut und wird von Melanie Levensohn eindrucksvoll als Exposition für eine ebenso tragische wie berührende und authentische Geschichte genutzt. Die Sprünge zwischen den Zeiten sind gelungen und überzeugend umgesetzt, die Schicksale der drei Frauen verstricken sich im Verlauf der Geschichte immer mehr miteinander und so ergibt sich ein ergreifender Plot, der zudem sehr gut recherchiert ist und mich rundum überzeugt hat.

 

Ich mochte den Wechsel zwischen den Zeiten und den drei verschiedenen Frauen, die das Schicksal auf geheimnisvolle Weise miteinander verbindet, sehr gern. Vor allem an Judiths Erlebnissen habe ich von Anfang an großen Anteil genommen, denn Levensohn zeichnet ein sehr realistisches und in gewisser Weise ansteckendes Bild vom Paris unter deutscher Besatzung. Und sie erzählt uns eine Liebesgeschichte, die vom allerersten Moment an bewegt und ans Herz geht. Judith und Christian kommen aus zwei verschiedenen Welten - sie ist eine arme, jüdische Studentin, die sich um ihre depressive Mutter kümmern muss, er der Sohn eines reichen Bankiers und Nazi-Sympathisanten. Hier prallen Welten aufeinander und doch gelingt es der Autorin, Christian und Judith auf so wundervolle Weise zusammenzubringen, dass man sich dieser Macht einfach nicht entziehen kann.

 

Mir hat außerdem gut gefallen, dass Levensohn in der Gegenwart den Fokus auf Béatrice legt. Ihr Leben ist turbulent und während ihrer Suche nach Judith alles andere als klar und leicht. Ich mochte es, wie Béas Freundschaft zu der alten Dame Jacobina und ihr Eifer bei der Suche nach ihrer Halbschwester Béa neuen Halt und ihrem Leben eine neue Richtung gegeben haben. Allerdings hat sich der Schwerpunkt im Lauf der Handlung für meinen Geschmack etwas zu sehr in Richtung Béa, ihre beruflichen Probleme und das Liebes-Wirrwarr in ihrem Leben verlagert. Hier blieben mir Jacobina und Judith ein wenig auf der Strecke. Ich hätte sehr gern viel mehr über die Suche nach Holocaust-Überlebenden erfahren, hätte als Leser gern mehr Einblick in die Recherche gehabt. Stattdessen hat Levensohn sich vor allem in der zweiten Hälfte des Romans fast ausschließlich auf Béas Liebesglück konzentriert, sodass die Suche nach Judith quasi nur noch nebenbei abgehandelt wurde. Das fand ich ein bisschen schade, denn hier hätte einfach so viel mehr Potenzial drinnen gesteckt.

 

Ein klein wenig ernüchtert hat mich außerdem das Ende, denn obwohl es wirklich sehr anrührend und tief bewegend ist, hatte mir Herr Zufall einen Ticken zu überdeutlich seine Finger im Spiel. Es mag ähnliche unglaubliche Lebensgeschichten, vor allem im Zusammenhang mit dem Holocaust, ganz sicher gegeben haben, aber trotzdem wirkte Levensohns Auflösung am Ende ein bisschen zu konstruiert auf mich. Das ist jedoch insgesamt gar nicht schlimm, denn alles, was vorher geschieht, wie sich Judiths Leben entwickelt, wie sich ihre Spuren verlieren und auf welch kraftvolle und intensive Art und Weise Levensohn ihre Geschichte erzählt, hat mich allemal mitgerissen und bis ins Mark getroffen.

Mein Fazit
Levensohns Figuren, die unglaubliche und dabei so bewegende Geschichte, die sie erzählt, und der grausame Hintergrund des Holocaust - all das macht "Zwischen uns ein ganzes Leben" zu einem großen Roman, der mich von Anfang bis Ende tief berührt hat. Ich habe zwar den ein oder anderen Kritikpunkt, da mir Judiths Geschichte hier und da hinter Béas Liebes-Hin-und-Her zurückblieb und mir das Ende einen Ticken too much war, aber dennoch: Dieses Buch lässt kein Auge trocken und deswegen gibt es von mir eine ganz klare Leseempfehlung!