Rezension

Was ist dir wichtig im Leben?

Ein wirklich erstaunliches Ding - Hank Green

Ein wirklich erstaunliches Ding
von Hank Green

Bewertet mit 4 Sternen

April May, die 23-Jährige Protagonistin ist Grafikdesignerin und hat einen unterbezahlten Job in einem kleinen Start-Up. Auf dem nächtlichen Heimweg sieht sie plötzlich eine riesige Roboter-Skulptur, die ihr vorher nie aufgefallen war. Kurzerhand ruft sie ihren besten Freund Andy an und gemeinsam drehen sie ein Video über "Carl", wie sie die Skulptur tauft. Am nächsten Morgen erwacht sie und kann es kaum glauben: Das Video hat schon tausende Klicks und Likes erreicht. Von da an geht alles ziemlich schnell. Überall auf der Welt sind weitere Carls aufgetaucht, insgesamt 64 Stück. Niemand kann sich erklären, woher sie kommen, noch wer sie dort aufgestellt hat. April wird zur Carl-Expertin und von nun an in unzählige Talk-Shows, etc. eingeladen. Über Nacht wurde sie mit einem einzigen Video berühmt.

Der Schreibstil ist sehr flüssig, die Sprache klar und deutlich. Etwas irritierend fand ich die ständigen Hinweise, dass der Leser ja wisse, was passiert sei etc., da man das nunmal nicht weiß. Auch wenn der ganze Roman in Form einer Berichterstattung aus Aprils Sicht aufgebaut ist, hätte man dies vielleicht anders lösen können. Es hat mich eher im Lesefluss gestört, als dass es mir das Gelesene näher brachte. Gedanken und Gefühle werden gut dargestellt finde ich, allerdings auch hier wieder nur aus Aprils Sicht, die die Dinge oft etwas egoistisch betrachtet und vieles nicht sieht (oder sehen will). Die Hintergründe sind gut recherchiert und man merkt, dass sich der Autor mit den verschiedenen Elementen seines Romans auseinander gesetzt hat.

Ich muss sagen, April war mir die meiste Zeit des Buches über ziemlich unsympathisch. Sie wirkt sehr naiv und lässt sich extrem leicht beeinflussen und ablenken. Sie scheint nicht wirklich eine eigene Meinung zu haben, die sie bis zum Schluss vertritt. Immer wieder will sie sich erwachsen und vernünftig verhalten, macht dann aber letztendlich genau das Gegenteil. Auch wie sie mit ihren Mitmenschen umgeht ist mehr als grenzwertig. Ob das nun die wirkliche April ist, oder ihr Verhalten vom Ruhm gebelendet ist, kann man beim Lesen nicht erkennen. Andy fand ich am Anfang etwas seltsam, da er über die vielen Likes völlig aus dem Häuschen war, er war jedoch im Laufe des Buches nicht so naiv und leichtgläubig wie April, sondern hat sich durchaus seine Gedanken gemacht, wie es scheint. Die anderen Charaktere waren alle schön beschrieben, aufgrund der Erzählweise blieben sie jedoch immer etwas entfernt und unscharf für mich. Das Ende lässt mich tatsächlich etwas sprachlos zurück. Damit hätte ich nicht absolut nicht gerechnet und obwohl ich April ziemlich nicht wirklich mochte, wünscht man ihr so etwas nicht. Das Ende ist auch sehr offen gehalten, was einerseits natürlich raum für die eigenen Vorstellungen lässt, aber andererseits hätte ich mir für diese Geschichte ein abgeschlossenes Ende gewünscht.

Zu Beginn des Buches ist April sehr 'unerfahren' was Social Media angeht, es ist ihr mehr oder weniger egal, sie betreibt es nur als Hobby und um ein paar schöne Schnappschüsse zu teilen. Dies ändert sich sehr schnell und schon am Ende des 1. Tages hat sie ihr Verhalten grundlegend geändert. Das kam etwas plötzlich für mein Empfinden, aber auch hier hat sie sich vorrangig von anderen beeinflussen lassen. Ich kann allerdings auch verstehen, dass April sich davon mitreisen lässt und es am Ende sogar als Sucht beschreibt. Das Verlangen nach Aufmerksamkeit und Bestätigung schlummert denke ich in uns allen. Folgender Satz von Maya beschreibt es sehr gut finde ich: "Du willst ein Publikum finden, das dich liebt, weil ich dir nicht genüge. Weißt du was? Das, was du dir jetzt holst wird auch nicht reichen,.." April schreckt vor der Bindung an andere Leute zurück und immer, wenn es ernst wird, will sie einen Rückzieher machen, verletzt die andere Person um sie loszuwerden. Durch die Berühmtheit im Netz wird sie plötzlich (vermeintlich) geliebt ohne dass sie etwas von sich dafür geben muss. Sie ist gefragt und jeder will sie sehen, ganz ohne die Nähe, vor der sie sich sonst so sehr fürchtet. Sehr oft habe ich beim Lesen den Kopf geschüttelt über Aprils Handeln und Gedanken, man würde sie gerne schütteln und dazu bringen, nochmal nachzudenken, bevor sie Dinge tut oder sagt, die sie hinterher bereut.

Die beiden Erzählstränge - Aprils Berühmtheit und das Geheimnis um die Carls - sind gut verknüpft, obwohl man die Science-Fiction-Elemente nicht unbedingt gebraucht hätte und sie für manche vielleicht sogar störend wirken könnten. Es geht hauptsächlich darum, wie wir uns als Menschen verhalten, sei es gegenüber fremdem oder auch gegenüber anderen Menschen. Die Rolle der sozialen Medien in der heutigen Gesellschaft wird thematisiert und realistisch dargestellt. Sowohl die positiven Aspekte (die Vernetzung untereinander, um das Miteinander und die Kommunaktion zu fördern) als auch das Negative (die Gefahren durch schlagartige (unverdiente ?) der Berühmtheit) werden angesprochen und der Leser wird angeregt sich zu überlegen, wie man selbst in solchen Situationen gehandelt hätte. Auch die Leichtigkeit anonymer Anfeindungen im Netz wird thematisiert, die oft zu viel schlimmerem als nur ein paar bösen Wörtern führen können.

Abschließend kann ich sagen, dass ich das Buch sehr gerne gelesen habe. Es zeigt deutlich die Probleme, die mit einer Karriere im Social-Media-Bereich einhergehen (können) und stellt den Leser vor die Frage, wie er sich verhalten würde. Das Buch beäugt Social Media aber auch das Verhalten und das Miteinander von Menschen kritisch und nicht nur einseitig. Für "ältere" Generationen, die nicht mit den heutzutage aktuellen Medien aufgewachsen sind, mag vieles sehr befremdlich wirken und vielleicht auch unverständlich und überzogen. Ich denke jedoch, dass die angesprochene Zielgruppe sich in vielem wiederfinden kann und das Buch vielleicht auch als Denkanstoß nutzen kann. Sollte man wirklich sein ganzes Handeln darauf ausrichten, mehr Follower, Likes & Klicks zu bekommen? Oder gibt es nicht noch viel mehr, dass das Leben ausmacht?