Rezension

Was ist ein Mensch wert?

Die spürst du nicht -

Die spürst du nicht
von Daniel Glattauer

Bewertet mit 5 Sternen

„Das Zweitwichtigste bei einer Aussage ist der Wahrheitsgehalt, das Wichtigste die Überzeugungskraft. Wie in der Werbung. Wie in der Politik. Wie im Leben.“ 

Daniel Glattauer erzählt gewohnt eloquent, humorvoll und originell eine pikante Geschichte, in der es um einen tragischen Badeunfall und seine (rechtlichen) Konsequenzen geht. Das trifft aber bei weitem nicht den Kern. Es geht um die Wahrheit, Geld und Macht, Schuld und letztlich auch um Prominenz, Politik und Zuwanderung. Eine Fülle von Themen in klugen Dialogen. Der Erzählstil gefällt mir sehr. Daniel Glattauer greift das auf, was ich schon bei "Gut gegen Nordwind“ so geliebt habe, indem er Korrespondenzen einflechtet. Mit kleinen Überschriften und Kapiteln wird der Text aufgelockert und entsprechende Passagen lassen sich leicht wiederfinden. Erzählt wird aus verschiedenen Perspektiven. Hier rücken vor allem Tochter Sophie Luise und ihre Mutter Elisa in den Vordergrund, die Treffen mit dem Anwalt, aber auch die mediale Berichterstattung und die Postings dazu, die zwischen Zynismus und Betroffenheit, den realistischen Ton treffen. Dabei verleiht Glattauer seinen klischeehaften Protagonisten Authentizität, indem er ihnen eine ganz individuelle Ausdrucksweise verleiht. Nur die Sichtweise der Opferfamilie bliebt vorerst verborgen. Es wird aber nicht versäumt, auch ihnen eine Stimme zu geben. 

„Die Wahrheit ist ein Chamäleon, sie wechselt ihre Farbe mit dem Blickwinkel des Betrachters.“ 

Es ist ein tragisches Buch, das nachdenklich macht, absurde Missstände aufzeigt und mich am Ende sehr berührt hat. Hier findet Glattauer die richtigen Worte, rückt sogar kurz einen bescheidenen Helden in den Fokus, aber zeigt vor allem, das es nur Verlierer geben kann, wo Gespür für Menschlichkeit auf der Strecke bleibt. Sehr empfehlenswert!