Rezension

Was man bereit ist zu tun, um zu überleben

Stella, 4 Audio-CDs - Takis Würger

Stella, 4 Audio-CDs
von Takis Würger

Bewertet mit 4.5 Sternen

Takis Würger erzählt Stellas Geschichte durch Friedrich, einen jungen Schweizer der 1942 Berlin als Tourist besucht. Friedrich ist in wohlhabenden aber zerrütteten Verhältnissen in der Schweiz aufgewachsen. Der Vater liebt ihn sehr, ist aber oft auf Reisen, er ist den Menschen zugewandt, aber etwas weltfremd. Die Mutter ist Alkoholikerin, Nazi, und möchte, dass der Junge Künstler wird, weil ihr dies versagt blieb. Da Friedrich keine Farben erkennen kann, wendet sie sich von ihm ab. 
Friedrich geht als junger Mann nach Berlin, weil er wissen möchte, was an den Gerüchten dran ist, dass Möbelwagen nachts Juden abtransportieren. Lange möchte er nicht bleiben. Als er Kristin an der Kunstschule kennenlernt, verliebt er sich und bleibt länger. Die Frau fasziniert ihn, sie ist so anders als er. Die Beiden wohnen zusammen in seinem Luxushotel und lassen es sich gut gehen, von der zunehmenden Not bekommen sie soviel nicht mit. Irgendwann ist Kristin für ein paar Tage verschwunden, als sie zurück kommt, ist sie verletzt, wurde offensichtlich gefoltert und der Kopf ist rasiert. Sie gesteht, dass ihr Name Stella ist, sie sei Jüdin und wenn sie leben und auch ihre Eltern retten will, muss sie einen bestimmten Juden an die Nazis ausliefern. Was tun? Kann man einen Menschen verraten, um einen anderen zu retten? Was ist hier richtig und was falsch? Wie lebt man mit der getroffenen Entscheidung, wie können andere diese verstehen oder akzeptieren? Friedrich, der ursprünglich nur etwas über die Wahrheit der Gerüchte wissen wollte erfährt von einer Krankenschwester: „In diesem Land sind nur noch die schönen Geschichten Gerüchte. Die hässlichen sind alle wahr....Lauf weg, du Idiot“ (s.162) 
Wie Friedrich und Stella sich entscheiden, und damit weiterleben, kann man auf den 220 Seiten nachlesen, die der Roman umfasst. Die Personen bleiben einem durch den distanzierten Stil etwas fremd, dies ist wohl gewollt und unterstreicht das Dilemma der Geschichte sehr gut. Stella Goldschlag hat es wirklich gegeben. Die historischen Fakten gemischt mit der fiktiven Liebesgeschichte sind eine gute Mischung. Die weiteren Charaktere sind ebenfalls gut gezeichnet, die Schauplätze gut beschrieben und so hat man das Gefühl in die Zeit einzutauchen. 
Jedem Kapitel ist ein Abriss vorangestellt, in dem Zeitgeschehen aus dem jeweiligen Monat 1942 aufgelistet werden sowie jeweils eins der 10 Gebote für jeden Nationalsozialisten von Joseph Goebbels. Zudem wurden Originalabschriften aus Prozessakten beigefügt. 
Ein sehr bewegendes und eindringliches Buch für das ich unbedingt eine Leseempfehlung ausspreche.