Rezension

Was mir von Dora blieb…..

Was von Dora blieb
von Anja Hirsch

Bewertet mit 3 Sternen

Mit großen Erwartungen habe ich „Was von Dora blieb“ von der Journalistin Anja Hirsch zur Hand genommen, da das Werk „als ergreifender Roman über die Schwierigkeiten der Kriegsenkelgeneration“ angekündigt wurde und somit ganz in mein literarisches Interessengebiet fällt. Nach der Lektüre bin ich allerdings etwas ratlos, da nicht viel Greifbares von Dora bleibt.

Der Inhalt lässt sich recht schnell resümieren: Die Protagonistin Isa, Mutter zweier erwachsener Kinder erhält mitten in einer Ehekrise im Jahr 2014 eine Kiste mit alten Tagebüchern, Fotos, Akten und Briefen von ihrer verstorbenen Großmutter Dora. Mittels dieser Gegenstände versucht Isa nun in der Abgeschiedenheit von ihrer eigenen Familie das Leben einer für sie geheimnisvollen, harten und unnahbaren Frau zu rekonstruieren, die doch ihre Großmutter war, um dabei Antworten für ihre aktuellen Probleme zu finden. Dabei nimmt sie fast ein ganzes Jahrhundert Familiengeschichte in den Fokus. Oberflächlich gestreift werden menschliche, künstlerische, gesellschaftliche sowie politische Aspekte und Probleme der Zeit- bzw. Familiengeschichte, um dann auch eine Lösung für Isas Probleme in der Gegenwart zu finden.

Natürlich entdeckt Isa bei dieser Reise in die Vergangenheit – die sowohl aus ihrer Perspektive und der von Dora, aber auch aus der von Gottlieb, Doras Sohn und Isas Vater, erzählt wird -, Parallelen zu Dora (Dreiecksgeschichte, Rolle der Frau), lässt den Leser aber mit einem recht unscharfen Bild der dominanten Frau zurück. Dies liegt auch daran, dass die drei Teile sehr unterschiedlich gestaltet sind:

Im ersten Teil, der es mir sehr schwer gemacht hat, in den Roman zu finden, dominiert ein Schreibstil der extrem „sperrig“ wirkt und wenig Inhalt oder Gefühle transportiert. Die Autorin ist bemüht, einen stilistisch anspruchsvollen Text zu verfassen, der dem Leser aber eine emotionale Identifikation mit den Protagonisten verwehrt, zumal man die Hälfte der Ausführungen getrost hätte streichen können, da man wenig Neuem begegnet und viele aufwendig angelegte Nebenfiguren später nicht wieder aufgegriffen werden. Auf der anderen Seite bleiben die sozio-geschichtlichen Ausführungen der 20er und 30er Jahre viel zu oberflächlich recherchiert. Bei jedem Besuch des Folkwang - Museums erfährt man mehr. Zudem wirken diese Abschnitte wie nachträglich eingefügt. 

Im Laufe des zweiten Teils nimmt die Geschichte Fahrt auf; es entsteht der Eindruck, dass auch die Autorin hier erst richtig warmläuft.  Die Sätze werden mit Leben gefüllt und wirken nicht mehr so "sperrig". Die beiden Haupthandlungsstränge haben ihre Dynamik entwickelt und der historische ist jetzt wirklich spannend, auch wenn das Verhalten von Dora noch immer befremdlich bleibt. Der Leser hofft nun (vergeblich), im dritten Teil die Auflösung zu finden. Aber auf beiden Handlungsebenen scheitern die Emanzipationen der Protagonistinnen. Gerade Doras Geschichte und ihre Beziehung zu Maritz, aber auch zu Gottfried bleibt offen. Die Handlung in der Gegenwart hingegen ist schlüssig, allerdings spannungslos.  

Als Schlüsselstelle des Romans betrachte ich die Ausführungen, in denen Isa auf einer Metaebene über ihre Bewältigung der Vergangenheit und ihre Beziehung zu ihren Großeltern und ihrem Vater nachdenkt (S. 200/201). Gerade die Thematisierung der "Schuldfrage" und die Reflexionen zur Opfer- und Täterperspektive sind ganz großes Kino und verdeutlichen den Kern der Suche, auf der sich Isa befindet. Diese Idee wird später weitergedacht und bezieht sich nun ausschließlich auf Isas Beziehung zu Gottlieb (S. 257/258). Hier wird eindrucksvoll klar, was Isa sucht und warum sie sich auf diese emotionale Reise in die Vergangenheit begeben muss. Antworten findet Isa dann aber maximal in Ansätzen. So bleibt zum Beispiel völlig offen, was Dora über die Nazis denkt.

Betrachtet man nun wieder den Text als Ganzes, wirkt das Werk so, als hätte es schnell beendet werden müssen, vieles bleibt unausgegoren, sowohl sprachlich, aber gerade auch inhaltlich.  Das ist schade, denn das Werk hat - wie beschrieben – großes Potential.  Sicher kann man einwenden, dass die Ausführungen um Dora vage bleiben müssen, da das Buch den Anspruch erhebt, aus Kriegsenkelperspektive zu berichten. Ich hatte mir allerdings mehr versprochen, so dass mir von Dora letztlich nur wenig im Gedächtnis bleiben wird.