Rezension

Was nicht vergessen werden darf

Rote Kreuze
von Sasha Filipenko

Bewertet mit 3 Sternen

Der russische Autor Sasha Filipenko schreibt in ‚Rote Kreuze‘ mit journalistischem Anspruch gegen das Vergessen an.

Im Zentrum des Buches stehen Originaldokumente, Briefe, deren Empfänger die UdSSR, genauer, das Außenministerium Russlands zu Zeiten des 2. Weltkrieges war. ‚Briefwechsel‘ wäre zu viel gesagt, denn sämtliche Versuche (z.B. vom Internationalen Roten Kreuz), mit Russland in einen Austausch über russische Kriegsgefangene zu treten, wurden von russischer Seite kategorisch abgelehnt. Zum Leidwesen der Gefangenen und ihrer Familien. 

Eine der Leidträgerinnen ist Tatjana, die als Fremdsprachensekretärin im Außenministerium gearbeitet hat und deren Mann in Kriegsgefangenschaft gerät. Doch das ist nur der Anfang ihres Leidensweges. 60 Jahre später, mit über 90 Jahren, erkrankt sie langsam aber sicher an Demenz und ist überzeugt davon „In meinem Fall hätte es nicht anders enden können! […] Weil Gott Angst hat vor mir. Zu viele unbequeme Fragen kommen da auf ihn zu.“ Als sie einen neuen Nachbarn bekommt, den etwa 30jährigen Alexander, einen alleinerziehenden Vater, fackelt sie nicht lange und macht ihn zum Zeugen. Sie erzählt ihm ihre Geschichte, auch gegen seinen anfänglichen Widerwillen und nach und nach geraten Alexander und der Leser in Tatjanas Bann.

Ihr Schicksal ist ein Stück russische Geschichte und dass die heutige russische Regierung die im Buch erwähnten Dokumente – inzwischen wieder – unter Verschluss hält, zeigt, wie gefährdet die Wahrheiten sind, die sie enthalten. Filipenkos investigativer Mut, einen solchen Roman zu schreiben (wie auch Dos Santos ‚Vaticanum‘) verdient – uneingeschränkt – Bewunderung und Interesse.

Dennoch konnte mich ‚Rote Kreuze‘ als Roman nicht vollständig überzeugen. Zu offen bleibt die Verbindung zwischen Alexander und Tatjana (das im Klappentext angekündigte gegenseitige Erkennen des gebrochenen Herzens des anderen habe ich so nicht gelesen) und Alexanders Schicksal, das ebenfalls ausführlich geschildert wird, schwebt zusammenhangslos im Raum und hat mit dem Rest des Romans wenig zu tun. Außerdem sind die zitierten Dokumente teilweise zu geballt und wiederholend. Hier erkennt man die journalistische Absicht dahinter und die kann ich auch würdigen, doch (wie auch bei Dos Santos) frage ich mich, ob diese Sammlung nicht wirkungsvoller in einem Sachbuch eingebracht werden könnte. Im Roman stört sie den Lesefluss und die Handlung. 

Sicherlich ein wichtiges Buch, stellenweise auch sehr mitreißend und bewegend, aber deutlich mehr ‚Tell‘ als ‚Show‘ und daher immer mit einer ‚Restdistanz‘ zum Leser.

Kommentare

MrsFraser kommentierte am 26. Februar 2020 um 10:48

Korrektur: Der Autor kommt aus Weißrussland, nicht Russland!