Rezension

Was tut das grüne Leuchten über Battersea?

Victorian Secrets: Verbotene Sünden
von Helen B. Kraft

Bewertet mit 4.5 Sternen

„Sie sollten nicht nackt schlafen, wie sonst.“

Dies ist mein drittes Buch aus der Feder der Autorin: Helen B. Kraft. An ihrem Stil gefallen mir die Hinwendung zu durchdachten Detailplatzierungen, guten Charakteren sowie deren Sinn für Humor. Nach der Lektüre von ‚Vickys Secret‘ hat sie bewiesen, dass sie nicht nur Dämonen beherrscht, sondern auch andere Genre. Ich geb’ euch mal die entsprechenden Schlüsselworte: Hoover-Laster, Luftdroschken, Extraktor-Maschine, Gürtelschnalle, Goggle-Brille, Zylinder, Zahnrad, London, Battersea, grünes Leuchten… - na kommt, das ist ziemlich offensichtlich! *Hand über Ohrmuschel schützend halt* Ja? Steampunk? Richtig! Hier kriegst ne Kornblume. Kornblumen sind übrigens Blau. Und werden in der Heilkunde auch gegen Kopfschmerzen eingesetzt (bio-gaertner.de)…

Also in diesem Buch geht es um Thorpe, eine väterliche Figur, welcher sich mit viel Hingabe und Loyalität um den kleinen Adelssproß kümmert, der seine Eltern leider verloren hat und beinah in die Themse geworfen worden wäre, ob seiner äußerlichen Entstellungen. Aber der gute Thorpe hatte Mitleid mit ihm und zog ihn groß. Womit er natürlich nicht rechnen konnte war, dass sein Schützling so ein Eremit werden würde! Der seine narbige Haut versucht hinter einer Maske zu verstecken. Gut, dass Ian Connery keinen allzu ausgefallenen Geschmack an Opern hat und sich dort einnistet! Wobei, sein Geheimzugang zum Keller in dem er herum experimentiert kommt dem Phantom schon nahe.
So, das war jetzt natürlich geflunkert. Thorpe, der Butler ist natürlich nur der Alfred-Sidekick von Batman-Ian.

„Wollte Mylord nicht einen Pyjama tragen?“

Wichtige weitere Nebenfigur ist Inspector Shawn Whiting, den ich nach dem ganzen Buch wirklich lieb gewonnen hab’. (S. 149): “Der Superintendant hatte ihn wie ein Blatt Papier dreimal in der Mitte gefaltet, zusammengeknüllt (…)“ Er ist so eine richtige Töhle von Polizist. Ihm zur Seite steht Constable Littlechild, dem er nur zu gern gegen die Stirn haut. Eben jener Inspector vom Scotland Yard beschuldigt nun Ian Connery Nachts umtriebig in London zu sein, sich Opfer zu suchen und ihnen die Augen auszustechen. Wie man sich denken kann, findet der Adelige das in keiner Weise zutreffend. Um seinen Verdacht zu bestätigen bringt Whiting die Traumgängerin des Scotland Vision Yard ins Spiel (diese Unterabteilung wird geleitet von Tom, der zum Protagonisten im zweiten Teil der Victorian Secrets „Verbotene Träume“ werden wird). Emma St.Claire war mir als weibliche Hauptrolle sehr blass aufgefallen, als typische Frau des 19.Jahrhunderts, ohne großartige innere Stärke. Sie konnte aber gen Ende viele Pluspunkte gut machen.

Während Ian ihr gegenüber ein wenig mit seiner Playboy Attitude - der kleine Spanner - angibt und sie im Zimmer einsperrt. Er hat schließlich so einiges zu verbergen und ich glaub’ er findet das auch nur so semi-optimal, in seiner Einsiedelei gestört zu werden. Nun was soll er machen? Er nimmt also das Frauenzimmer bei sich auf und erlaubt ihr sich seine Träume anzusehen, dass sie dafür mit ihm in einen Bett schlafen muss, führt zwangsläufig zu errötenden Wangen. Statt aber gleich auf das Mittagsschläfchen im Salon nebst Anstandswauwau Thorpe umzusatteln, versucht er es erst einmal mit Schlaftabletten - soll ja niemand nachher sagen, er hätte zusätzlich zu angeblichen Morden sich auch noch kompromittierenden Situationen hingegeben!

„Keuschheitsgürtel, Sir?“

„Willst du sie haben, dann brauchst du Narben.“ (Alligatoah ’Narben’) Natürlich entwickelt sich da was zwischen den Beiden, wir sind immerhin im RomanceEdition Verlag unterwegs. An sich gefiel mir die Romanze auch gut, die kredenzte Sexszene war passabel, da mich persönlich das ‚Ge-höhe-gepunkte‘ etwas schief gucken ließ. Aber jeder wie er mag. Na ja und Ian hat da ja auch noch den Vorteil, dass wenn es brenzlig wird, er einfach den Unsichtbarkeitsmodus anwerfen kann. Was ihm auch beinah passiert, im Bett… ich hab’ ihn gedanklich schon durch die Matratze flutschen sehen.
Geflutscht hat auch die Handlung an sich. Da griff sauber eins ins andere und bot viele Möglichkeiten sich seine eigenen Gedanken zu machen in Bezug auf den Antagonisten und die möglichen Verstrickungen. Ich würde sagen hier kam weder die Suche nach dem Schlächter noch die Romanze zu kurz.

Der absolut passend inszenierte Endkampf konnte sich sehen lassen. Und während Ian seine Abscheulichkeit nach außen hin entstellt, richtet sich die des Bösen nach Innen. Weshalb es nicht überraschend ist, dass der ’Traumgang’ ein wesentliches Element des gesamten Romans ist. Formal unterstrichen durch ca. 20% aller Kapitel/Absatzanfänge die damit beginnen wie jemand erwacht/ geweckt wird/ aus einer Traumsequenz heraus kommt. Die Nebencharaktere die hier nicht zu kurz kommen, inspirierten mich sogar spontan zu einer FanFiction, welche ich euch ob der Länge nicht zeigen werde. Aber immerhin das Cover. Apropos Buchcover, das ich dieses absolut super finde, füge ich jetzt nur der Vollständigkeit halber an.
 

Fazit:

Während der Leserunde zog ich schon Vergleiche zu ‚Vidoq‘ oder ‚Minority Report‘. Aus mehreren Gründen. Vidoq überraschte mich, als einer der ersten Filme dieses Genres, mit haarsträubenden Twists, surrealen Figuren/ Erfindungen und einem Ausgang der mich echt umhaute. Da wird es einem nicht leicht gemacht. Minority Report ebenso, wenn man den Film das erste Mal sieht, ist die Auflösung wirklich verdammt gut. Davon abgesehen haben wir es bei Victorian Secrets nicht mit einem ‚Pre-Crime‘ Verfahren zu tun sondern einem ‚Post-Crime‘ wie wohl jede Ermittlungsarbeit.
Der Unterschied besteht jedoch darin, dass der Traumgang eine sehr unbestechliche Möglichkeit bietet auf der Spur zu bleiben. Auch wenn ich gern zugebe, für mich war das weniger Traum, denn ‚Vergangenheitssicht‘. Natürlich liegt es im Traum begründet, dass Erinnerungen dort verarbeitet werden vom Gehirn, weshalb Emma in der Lage ist sowohl uralte Erinnerungen, als auch Frische einzublicken. Dies tut sie indem sie ’nahe’ dabei steht, sich sogar umsehen kann - also nicht aus der Sicht desjenigen in den sie hineinschlüpft. Eine schöne Idee mit solider Umsetzung, hat mich aber nicht so vom Hocker gerissen diese Gabe.

Ganz klar kann ich sagen, ich habe mich köstlich amüsiert! Für einen Steampunk eine gelungene Leistung mit schönen Hinwendungen. Es wäre sogar noch mehr gegangen! In sich geschlossen aber die Möglichkeit bietend in diesem London noch einmal Charaktere aufleben zu lassen. Hier wird gestorben, geblutet, geschlachtet und gelitten. Einen minimalen Abzug gibt es von mir für die etwas simple Auflösung und das Haititei am Ende. Steampunk-Neulinge können mit diesem Werk nichts falsch machen. Aber auch jene, die die Nase schon mal in London nebst alternativ Verlauf stecken hatten sind hier gut aufgehoben.

Ein: "Thorpe? Hast du noch was von dem Mittel, dass Blut so gut raus wäscht?" - Urteil

Antwort: Es leuchtet Grün.