Rezension

Was, wenn plötzlich ein Gerücht Dein Leben bestimmt?

Das Gerücht
von Lesley Kara

Bewertet mit 4 Sternen

Spannend bis zur letzten Seite. Ein Buch, das (auch) nachdenklich stimmt.

Das Buch:

Mir gefiel auf Anhieb die Grundidee der Geschichte, die hier erzählt werden soll. Ein Gerücht macht in einer kleinen Stadt die Runde. Wie werden sich jetzt deren Einwohner verhalten? Da jeder von uns schon einmal mit einem (oder mehreren) Gerüchten in Berührung kam und davon mehr oder weniger selbst betroffen war, interessierte mich einfach, wie die Geschichte hier ihren Lauf nehmen würde.

Worum geht’s?

Joanna zieht mit ihrem Sohn Alfie zurück in ihre Heimatstadt Flinstead– eine kleine Stadt am Ufer des Meeres – weil sie hofft, dass Alfie sich hier besser zurecht findet, als im großen und wühligen London. Dafür gibt sie einen guten Job auf und gibt sich mit einer Stelle als Maklerin zufrieden. Eines Tages hört sie auf dem Schulhof von Alfies Schule ein schier unglaubliches Gerücht über eine Kindermörderin. Auch durch Joannas Schuld nimmt dieses Gerücht bald eine ungeahnte Größe an und die Einwohner der kleinen Stadt reagieren...

Die Charaktere:

Joanna ist eine liebenswerte, junge Frau, die sich um ihren Sohn Alfie sorgt. Manchmal erscheint sie vielleicht etwas übervorsichtig, aber im Großen und Ganzen kann ich sie schon verstehen. Damit Alfie glücklich sein kann, arrangiert sie sich mit dem Leben in der kleinen Stadt und ist immer wieder froh und dankbar dafür, dass sie nun wenigstens ihre Mutter in der Nähe weiß. Auch Alfie schätzt die Nähe zur Oma sehr.

Unglücklicherweise ist es für Alfie gar nicht so leicht, Freunde in der Schule zu finden und Joanna tut alles dafür, dass sich dies ändert. Dazu gehört auch, sich unterschiedlichen Gruppen wie z.B. der Babysitter-Gruppe oder dem ansässigen Buchclub anzuschließen. Die Mütter in der Babysitter-Gruppe haben ihre eigenen Regeln und wirken auf mich einigermaßen spießig und selbstverliebt. Ich hatte nicht das Gefühl, dass sich Joanna dort besonders wohl fühlt, aber Alfie hat nun Freunde in der Schule...

In diesen Gruppen berichtet Joanna – aus unterschiedlichen Gründen – über das gehörte Gerücht und ziemlich schnell bereut sie dies, da es sich relativ schnell verbreitet und jeder, der es weiter erzählt, offenbar etwas hinzudichtet – ob es nun wahr ist oder nicht. Joanna ist im Grunde keine Klatschtante, weshalb ihr bald klar wird, dass es ein Fehler war, das Gerücht weiter zu tragen. Viel schlimmer finde ich aber zu sehen, wie schnell die Menschen in der kleinen Stadt bereit waren, mit dem Finger auf eine Person zu zeigen, nur weil sie sich anders benimmt als die anderen Einwohner der Stadt. Interessant fand ich auf jeden Fall, wie sehr Joanna darauf aus ist, mehr Informationen zu bekommen. Stundenlang sitzt sie vor dem Rechner und sucht.

Ich kann nicht sagen, dass mir besonders viele der Einwohner von Flinstead sympathisch wären. Vielmehr hatte ich das Gefühl, dass die meisten Fremden – und Joanna ist ja noch nicht einmal wirklich fremd – gegenüber einfach nur ablehnend gegenüber stehen. Und so liegt meine Sympathie ganz eindeutig bei Joanna, die mit ihrem schwarzen Sohn ganz sicher eine Außenseiterin ist.

Michael – Alfies Vater – ist Journalist und als Joanna ihm von dem Gerücht erzählt, ist er sofort Feuer und Flamme. Er versucht heraus zu finden, was dahinter steckt, wie viel Wahrheit in diesem Gerücht steckt und es dauert gar nicht all zu lange, bis er und Joanna die doch ziemlich haarsträubende Wahrheit heraus finden. Michael ist ein recht sympathischer Typ, er kümmert sich um seinen Sohn und war nie wirklich weit weg, wenn Joanna ihn brauchte. Dass er im Laufe der Zeit beginnt Geheimnisse vor Joanna zu haben, hat ihn mir etwas zwielichtig erscheinen lassen, aber das legt sich bis zum Ende des Buches auch wieder. Dann nämlich behält er die Nerven.

Schreibstil:

Der Text ist in der ich-Form geschrieben und lässt sich angenehm leicht lesen. Die Autorin schreibt sehr anschaulich, sodass man sich die kleine Stadt und die Menschen darin gut vorstellen kann. Durch die gewählte Perspektive in der ich-Form fühlt man sich irgendwie näher in der Geschichte.

Es gelingt Kara immer wieder falsche Fährten zu legen, den Leser ins Grübeln zu bringen. Mehr als einmal habe ich mich dabei ertappt, wie ich mir die Frage stellte: „Könnte sie es sein?“ und versucht habe, zu ergründen, ob ich mit den gelieferten Informationen ein sinniges Bild zusammen bringen könnte. Es macht Spaß, der Geschichte zu folgen und sich eben diese Fragen zu stellen.

Lässt man sich darauf ein, muss man sich allerdings auch beinahe zwangsläufig die Frage stellen, wie man selbst in einer solchen Situation reagieren würde. Als Mutter eines schulpflichtigen Sohnes das Gerücht zu hören, dass in der Heimatstadt eine Kindermörderin leben soll, ist ja schon erst mal ein ziemlicher Schock. Aber würde ich mich wohl darauf verlassen, dass die Justiz ihren Job richtig gemacht hat oder würde ich fortan jeden verdächtigen, der auch nur im Ansatz ins Bild passen würde?

Mit den falschen Fährten gelingt es der Autorin also, dass der Leser auch über sein eigenes Verhalten nachdenken kann. Das gefällt mir ausgesprochen gut. Nicht zuletzt deswegen, weil einem die Geschichte so doch deutlich realer erscheint, es viel wahrscheinlicher erscheint, dass man selbst auch einmal in eine solche Situation geraten könnte.

Die Spannung im Roman hält die Autorin stets hoch, lediglich am Ende erscheint es so, dass die Autorin vielleicht etwas zu viel wollte. Mir war es nicht glaubwürdig genug, dass eben diese Charaktere, die sie auswählte, solche Abschlussaktionen hätten liefern können.

Zwischen den Kapiteln erfährt der Leser von der wirklichen Täterin hin und wieder kleine Berichte aus ihrem Leben, die vielleicht (kennt man die Auflösung, ist es ganz sicher so) auch Hinweise auf sie liefern. Diese Einschübe haben mir sehr gut gefallen und hätten aus meiner Sicht deutlich öfter kommen können. Ebenso die Zeitungsausschnitte, derer sich die Autorin bedient. Denn eben diese Elemente sind es, die die Täterin sehr gut beschreiben.

Die Auflösung erfolgt erst am Schluss in einer ziemlich emotionalen Szene, die mir gut gefallen hat. Bis dahin mag der Leser seine Verdachtsmomente haben, aber mit dieser Lösung hätte ich auf gar keinen Fall gerechnet. Nun sollte man glauben, alles ist klar. Aber der allerletzte Satz des Buches brachte mich dann doch wieder ins Grübeln. Ich glaube, die Autorin überlässt es hier dem Leser selbst, wem er was glauben möchte. Ein großartiger Abschluss des Buches!

Fazit:

Ein lesenswertes Buch für Zwischendurch, das sich die Auflösung bis zum Schluss aufspart, in dem der Leser miträtseln kann und über das er im Nachgang sicherlich auch noch nachdenkt. Eine sympathische Protagonistin mit einem leichten Hang zur Dramatik runden die Geschichte ab. 4 von 5 Sternen.