Rezension

Was wir aus Märchen lernen können - Pans Labyrinth als Märchen erzählt

Das Labyrinth des Fauns
von Cornelia Funke Guillermo Del Toro

Bewertet mit 5 Sternen

Cornelia Funkes Märchenadaption zum Film Pans Labyrinth (2006) wurde in amerikanischem Englisch verfasst und dann ins Deutsche übersetzt, damit Guillermo del Toro, der Drehbuchautor und Regisseur, den Text lesen konnte.

Erzählt wird die Geschichte der 13-jährigen Ofelia. Ihre Mutter erwartet  ein Kind von Capitán Vidal und zieht mit Ofelia zu Vidal in die Wälder Galiziens. Vidal, den Ofelia „den Wolf“ nennt, bekämpft dort mit seiner Truppe Rebellen gegen das Francosystem. Schnell wird klar, dass der grausame Stiefvater nur Interesse an seinem ungeborenen „Sohn“ hat,  weder an dessen Mutter Carmen noch an der unerwünschten Stieftochter. Was Ofelia über das Leben weiß, hat sie aus Märchen gelernt. So wundert es nicht, dass sie in Vidals Hauptquartier, dem verwunschenen wie unheimlichen Gelände einer ehemaligen Mühle, ein geflügeltes Feenwesen und einen Faun trifft. Der Faun stellt Ofelia drei Prüfungsaufgaben, nach deren Lösung sie Prinzessin seines Reichs werden darf.

Auch für Vidal wirkt das Szenario unheimlich; denn der Wald bietet den Widerstandskämpfern Schutz und stellt für Vidals  Männer eine Gefahr da. Der Wald repräsentiert alles, was Vidal ablehnt und nicht kontrollieren kann: Schmutz, Deckung, wuchernde Pflanzen. Vidal und die Soldaten könnten nicht existieren ohne Mercedes und einen ganzen Trupp Dienerinnen, die für die Männer kochen und waschen. Diese Frauen dienen denjenigen, die ihre Väter und  Brüder bereits getötet haben oder sie noch töten werden. Mercedes erkennt sofort, dass Ofelia keine Überlebenschance hätte, sollte Carmen bei der Geburt von Vidals Kind sterben. Beeindruckende Frauenfiguren lässt bereits del Toros Film auftreten, Mercedes, die sich klein macht, weil sie nur so Hilfsgüter für die Guerillas abzweigen kann, Carmen, die nur wahrnimmt, was sie selbst direkt betrifft, und die hellsichtige Ofelia, die Zuflucht in einer verwunschen Welt unterhalb der realen Welt findet.

Verknüpft mit dem Gelände sind alte Geschichten vom Müller und von der Hexe Rocio, die im Mühlteich ertränkt wurde, vom Bildhauer Cintolo, der für die Prinzessin Moanna Blüten fertigte, die unter der Erde nicht verwelken, und vom Buchbinder Aldus Caraméz, der für Moanna Bücher in Echsenleder bindet, damit sie nicht auf die Idee kommt, ihre unterirdische Welt verlassen zu wollen.

In märchenhaft verdichteten Grundkonflikten geht es um Angst, Rache, Loyalität, Verrat, besonders um den Verrat, den die Kirche (und hier auch die Welt außerhalb Spaniens) an ihren treuen Gläubigen begeht, indem sie vor Vidal passiv die Knie beugt. Was Bücher Menschen bedeuten könnten und ob sie sie von der Realität fernhalten, ist eines der zentralen Themen. Die Illustrationen beziehen sich beeindruckend auf Baumwesen, Baumrinde und spielen mit dem, was Menschen in Bäumen zu sehen glauben. Während in Pans Labyrinth noch hauptsächlich das düstere Setting auf mich wirkte, fand ich im Buch die Frauenfiguren und -beziehungen am faszinierendsten. Indem Mercedes und Ofelia Vidal durchschauen, stellen sie auch das bequeme Konzept infrage: Sex und Schwangerschaft gegen Schutz vor der bösen Welt außerhalb, das ja leider nicht zusammen mit Vidal von der Erdoberfläche verschwunden ist, sondern aktueller denn je zu sein scheint.

Fazit

Mit Einbandillustration und ganzseitigen Schwarz-Weiß-Illustrationen von Allen Williams definitiv ein Buch zum Besitzen und nicht „nur“ zum Lesen.