Rezension

Was zur Hölle?!

Kiffen, Kaffee und Kajal - Kerim Pamuk

Kiffen, Kaffee und Kajal
von Kerim Pamuk

Bewertet mit 3 Sternen

In einem Wort: Zwiespalt! Einerseits durchaus unterhaltend geschrieben, sorgfältigst recherchiert und informativ, andererseits ohne roten Faden lose zusammengeschrieben und in der intoleranten Positionierung untragbar und unerträglich.

 

Als ich beim Stöbern zufällig über dieses Buch stolperte, war ich sofort Feuer und Flamme - Humor meets Geschichte?! Die letzten Seiten ließen mich jedoch fassungs- und zunächst sprachlos zurück...

Als ich das erste Kapitel anlas, dachte ich "BAMM! Das wird genial". Der Ausflug in die Welt der Worte und ihrer Herkunft war jedoch auf wenige Seiten begrenzt und der historische Teil des Buches begann - womit ich zwar nicht gerechnet hatte, was mich aber erstmal auch nicht störte. Viele Namen, viel kleinteilige Erzählung  - aber informativ und bis ins Detail recherchiert! 

Von Kapitel zu Kapitel jedoch sank meine Lesemotivation, fehlte mir doch ein roter Faden. Das Buch ist weniger eine strukturierte Reise durch Kunst, Kultur und Geschichte der islamischen Welt, sondern mehr eine lose Erzählung über alles, was irgendwie "orientalisch" ist - weit ausholend jedes Mal. Die Geschichte der Tulpen, die Ausbreitung des Schachspiels und Machtkämpfe bei Abbassiden, Osmanen & Co. Ich fand das zwar alles durchaus interessant, aber mir fehlte der Kit, ein "und deshalb ist das alles relevant". Klar, der Klappentext gibt das schon her, das Buch soll zeigen, wie ähnlich sich das "hier" und das "dort" sind, das auf beiden Seiten Menschen stehen... Das schwang jedoch sehr, sehr subtil nur mit und hätte gerne expliziter ausformuliert werden können.

Während die Präsentation des reichhaltigen Schatzes an Wissen zur islamischen Welt für mich also kleinere Mankos hatte, störte mich eines gewaltig: Die persönlichen Einschübe des Autors über seine Kindheit und Eltern, vor allem seine Positionierung am Ende. Denn, was zur Hölle???! 

»Die heutigen metrosexuell »angetouchten« Fußball- und Musikstars, die mit rasierter Brust und glitzernden Diamanten im Ohr herumgockeln, würde ich am liebsten zur Wiederentdeckung ihres eigentlichen Geschlechts in ein nordkoreanisches Militärcamp stecken.«

Da bleibt mir doch die Spucke weg, ich weiß gar nicht, wo ich anfangen soll?! Ja, der Autor ist Kabarettist und der Schreibstil humorvoll bis bitterböse - das jedoch geht über jede Grenze der Satire hinweg und ist, wie dieser Absatz auch eingeleitet wird, leider der volle Ernst des Autors, der beweint, dass der "schreckliche Feminisierung [...] selbst die Mauern der letzten rein männlichen Bastionen geschleift" hat, den Fußball. Während des Lesens hatte ich schon an einigen Stellen auf Grund eines androzentrischen und subtil patriarchatsbejahenden Tones gestutzt, das aber auf künstlerische Freiheit und flapsigen Ton geschoben. Diese Positionierung zu Ende des Buches ruinierte mein Bild vollständig. Zumal ich diese privaten Anteile auch höchst unnötig empfand - entweder, dies ist ein Buch über Kunst, Kultur, Geschichte und Erfindungen "des Orients" oder eine autobiographische Erzählung über die Migration seiner Eltern, seine Jugend und Integration und Umgang mit dem Leben zwischen zwei Welten. Die entstandene Mischung aus Beidem war für mich irritierend. 

Irritierend auch, wie klar sich Kerim Pamuk zu Fremdenfeindlichkeit positioniert, die Blödsinnigkeit der Argumente gegen "die Ausländer" und "die Flüchtlinge" richtigerweise hervorhebt und zugleich auf ganz anderer Ebene ähnliche Intoleranz und rückständiges Denken zeigt.

ANMERKUNG: Warum schreibe ich "Orient" in Anführungsstrichen? Um es knapp zu fassen, ist "Orient" ein westliches Konstrukt, eine Projektionsfläche, ein Abgrenzungsbegriff und nicht neutral, sondern abwertend, exotisierend. Ausführlich und wunderbar differenziert dazu dieser Artikel. 
 

Kommentare

Ronja empfahl am 02. März 2020 um 20:42

... die vollständige Rezension:

https://oceanlove--r.blogspot.com/2020/02/kiffen-kaffee-und-kajal.html