Rezension

Wasser und Blut

Mit jedem Jahr - Simon van Booy

Mit jedem Jahr
von Simon Van Booy

Bewertet mit 3.5 Sternen

Harvey widerfährt das Schlimmste, was einem nur in seiner Kindheit passieren kann – bei einem Autounfall kommen Vater und Mutter ums Leben und sie landet in der Obhut des Jugendamtes. Glück im Unglück ist Wanda ihre zuständige  Betreuerin, die ihren Job nicht nach Vorschrift macht, sondern danach schaut, was für die kleine Harvey das Beste ist. Wanda findet auch heraus, das der einzige lebende Verwandte ihr Onkel Jason ist. Papas großer Bruder und das schwarze Schaf der Familie. Sein Jähzorn brachte ihn bereits in der Jugendzeit in Schwierigkeiten und schließlich landete er nach einer Prügelei im Gefängnis. Danach verlor sich der Kontakt zur Familie und der kleine Bruder machte seinen Schulabschluss ohne den Rückhalt einer Familie, denn nach dem Tod des alkoholkranken Vaters nahm sich die Mutter das Leben. Nun sieht alles danach aus, als müsste auch Harvey dieses Schicksal erleiden, doch Wanda bringt Jason mit seiner Nichte zusammen und diese erobert sein Herz.
Simon Van Booys poetischer Ton aus „Die Illusion vom Getrenntsein“ klingt mir noch sehr gut in den Ohren. Auch hier ging es um Familie, die sich anders zusammenfand als auf die klassische Art und Weise. Deren Liebe Simon Van Booy in so eine poetische Sprache mit berührenden Bildern packt, dass es einen einfach nur ergreifen kann.
„Mit jedem Jahr“ unterscheidet sich in seiner Sprache allerdings ganz stark zu dem Vorgängerroman. Sie wirkt irgendwie distanziert, wenig poetisch. Detaillierte Beschreibungen erklären aus Sicht der kleinen Harvey, des jugendlichen Rowdys Jason, der erwachsenen Harvey und des in die Jahre gekommenen Ziehvaters die Handlung. Ganz dicht ist der Erzähler an immer nur einer Figur dran. Erzählt immer nur aus einer Perspektive, die wechselt ebenso wie die Erzählzeit. Konzentration ist beim Lesen angebracht, damit die man die Rückblende rechtzeitig als Rückblende erkennt und die Erinnerung nicht mit der Gegenwart verwechselt. Die Zeit- und Perspektivwechsel funktionieren gut, sie bringen in genau der richtigen Geschwindigkeit die Puzzleteile der Handlung zusammen. Das Wachsen der Beziehung zwischen Nicht und Onkel wird so glaubhaft dargestellt, es erklärt wie aus ihnen Vater und Tochter wird. Das einfache Leben, die profane Alltäglichkeit müssen sich beide zusammen hart erarbeiten.
Vielleicht sind manche Erzählfahrten übertrieben, zu rosarot und zuckerig im Vergleich zum Start der beiden. Harvey mit ihrer Karriere ausgerechnet in Paris, Jason, der aus der erzwungenen Auseinandersetzung mit seiner Schuld einen besten Freund gewinnt. Vielleicht ist dieser Kontrast aber auch nötig, um den ärmlichen Alltag vor 20 Jahren, das Durchhalten, das bedingungslose Vertrauen der beiden zueinander klar im Erzählen von der Zukunft abzugrenzen, den schweren Beginn zu verdeutlichen.
Für mich ist diese Geschichte in sich stimmig, ich war immer ganz nah bei beiden in jeder Zeit, nur über das Ende des Buches und seine Bedeutung werde ich noch eine Weile nachgrübeln.