Rezension

Wegschauen ist keine Lösung.

Feindliche Übernahme - Thilo Sarrazin

Feindliche Übernahme
von Thilo Sarrazin

Bewertet mit 5 Sternen

Ich gehöre zu denjenigen, die auch "Deutschland schafft sich ab" gelesen haben. Ein Buch, das sehr bissig ist, aber in manchem durchaus den Finger auf die Wunde legt. Das Verteufeln von Sarrazin in den Medien habe ich schon damals nicht kapiert. Nicht lesen und doch urteilen, ist dumm.

Der Titel des vorliegenden Buches provoziert und ist insoweit unglücklich. Man kann sich natürlich fragen, inwieweit Titel, Verlag und Autor sogar provozieren wollen, aber der Titel ist nicht Inhalt meiner Besprechung. Der Titel mag verkaufsfördernd gedacht sein, ich finde ihn nicht gut gewählt.

Doch, wenn man in Deutschland die Meinungsfreiheit so hochhält, und man kann sie nicht hoch genug halten, dann ist mir unverständlich, warum man Islamkritiker, politisch gewollt, grundsätzlich medial verteufelt und eine kritische Beschäftigung mit dem Islam und seinen Auswirkungen per se verurteilt: Meinungsfreiheit gilt für jeden und geht immer in zwei Richtungen.

Ohne Zweifel geht Thilo Sarrazin davon aus, dass die überwiegende Mehrheit der Muslime weltweit, den Koran eher buchstäblich versteht denn historisch-kritisch oder liberal. Dann aber darf man sich auch damit auseinandersetzen, was denn wörtlich drinsteht. Davon und was für Schlussfolgerungen daraus gezogen werden können und wie das islamische Staatsverständnis infolgedessen weltweit aussieht und sich uns Westlern präsentiert, handeln die ersten Kapitel.

Der Autor setzt sich wie schon in früheren Sachbüchern mit der demografischen Entwicklung in Deutschand auseinander. Die Geburtenrate in sämtlichen islamischen Ländern ist hoch und die Geburtenrate unter eingewanderten Muslimen nimmt auch Jahrzehnte nach der Ankunft in den sogenannten Aufnahmeländern weniger ab als die in der einheimischen Bevölkerung.

Sarrazin wirft die Frage nach der grundsätzlichen Integrationswilligkeit von Muslimen bezogen auf ihre Gesamtzahl auf, behauptet (wahrscheinlich richtig), dass es kaum eine normale Assimilation zwischen der muslimischen und der westlichen Gesellschaft gibt (Heiratsverbot (nur für Frauen) mit Ungläubigen) und stellt fest, dass ein Nebeneinander von Parallelgesellschaften weder wünschenswert an und für sich noch gut für die Demokratie ist, ja geradezu bedrohlich, und Segregation ein Kennzeichen der noch muslimischen Minderheit in Europa sei. In der Tat provokante Thesen, die, wenn sie richtig sind, Sorge machen.

„Weltweit sind die liberalen Muslime, wie immer ihre konkrete Position ist, in einer winzigen, hoffnungslosen Minderheit.“

Die Kopftuchfrage, die Verschleierung der Frau, ihr Zurückdrängen aus dem öffentlichen Raum, sieht der Autor kritisch. Die Frauenfrage war zu allen Zeiten umkämpft, die Rechte der Frau(en) sind auch im Westen nicht hundertprozentig bis zu Ende gefochten, doch drohen vom islamischen Frauenbild her gravierende Rückschritte. Die Lebenswirklichkeit von Houllebeqs Roman „Unterwerfung“ ist nur einen Hauch von der Realität entfernt. Das sollte man wissen und sich damit auseinandersetzen.

Die Demokratie ist ihrem Wesen nach durchlässig. " Der politsche Islamismus kann sich demokratischer Mittel bedienen, er ist nicht zwingend gewaltsam. Offen ist die Frage, was geschieht, wenn Islamisten einmal an der Macht sind und diese nicht wieder hergeben .... " (Hallo: "Unterwerfung" von Houllebeq). Islam heißt übersetzt: Unterwerfung.

Man muss den Überlegungen des Autors nicht folgen. Sollte ihnen aber wenigstens einmal Gehör schenken. Schon, um nachher nicht sagen zu können: „Ich habe von alledem nichts gewusst.“

Fazit: Sehr lesenswert und bedenkswert.

 

Kategorie: Sachbuch,
FinanzBuch-Verlag, 2018

Kommentare

sphere kommentierte am 21. November 2018 um 00:13

Nehme ich mir vor!

Steve Kaminski kommentierte am 21. November 2018 um 21:32

Also, ich habe dieses Buch nicht gelesen und werde es nicht lesen. Johanna Pink beurteilt es in der Zeit vom 29.8. unter dem Titel "Ist diese Religion gefährlich?" sehr kritisch. Kurze Ausschnitte, die ich kenne (eineinhalb Seiten), finde ich argumentativ nicht überzeugend.

Dass Parallelgesellschaften nicht gut und nicht gewollt sind, ist keine neue Erkenntnis von Sarrazin - das ist Allgemeingut in unserer Gesellschaft; wobei Parallelgesellschaften nicht IMMER schlimm sein müssen (ich denke etwa an jüdische Viertel in den USA).

Deine Rezension ist natürlich, wie immer, gut geschrieben; "von alldem nichts gewusst" - Du willst aber jetzt keine Parallele zur Haltung gegenüber dem Nationalsozialismus andeuten?

Ich empfehle: Franz Voll, Inside Duisburg Marxloh, Zürich: Orell Füssli 2016 - ein Buch, voll von Geschichten aus der Sicht unterschiedlicher Bevölkerungsgruppen, das Probleme aufzeigt und Lösungen zeigt, im praktischen Verhalten von Menschen, das ganz verschiedene Sichtweisen nebeneinader stehen lässt.