Rezension

weibliche Lebensvorstellungen zwischen Traum und Realität

Dream Count -

Dream Count
von Chimamanda Ngozi Adichie

Bewertet mit 4 Sternen

Der Roman handelt von vier Frauen auf der Suche nach Liebe, Freundschaft und einem selbstbestimmten, zufriedenen Leben. Erzählt werden die ineinander verwobenen Geschichten von Chiamaka, Zikora, Omelogor und Kadiatou. Ich habe diese Geschichten gerne gelesen.

Alle vier Frauen sind in Afrika geboren. Chiamaka, Zikora und Omelogor gehören einer reichen nigerianischen Oberschicht an. Kadiatou ist in Guinea in armen Verhältnissen aufgewachsen, in die USA emigriert und bei Chiamaka als deren Hausangestellte tätig. Chiamaka und Zikora leben sehr gut situiert in den USA, nur Omelogor ist nach einem kurzen Studium in Amerika nach Nigeria zurückgekehrt.

Was mir an der Geschichte der ca. Ende dreissig bis Ende vierzig jährigen Frauen besonders gut gefiel, war der Einblick in deren Kindheit, Jugend und deren familiäre Hintergründe in Nigeria und Guinea. Die in Nigeria in patriarchalischen Verhältnissen aufgewachsenen Frauen entstammen einer sehr reichen Oberschicht, der es materiell an nichts fehlt. So kann sich Chiamaka aufgrund der finanziellen Unterstützung ihrer Familie ein sorgenfreies, luxuriöses Leben als Reiseschriftstellerin leisten. Ein Beruf, von dem sie nicht leben kann, der sie aber um die ganze Welt führt.

Zikora ist Rechtsanwältin in einer renommierten Kanzlei in Washington D. C,., ebenfalls reich und schön, wie Chiamaka. Der Leser lernt Chiamaka im ersten Kapitel kennen und Zikora im zweiten Kapitel des Romans. Beide Frauen scheinen in ihrer Suche nach einem Lebenspartner, einem Mr. Right, gefangen, was für mich starke "Sex and the City" Vibes hatte . Diese Fixierung auf die Partnersuche, der Wunsch nach einer eigenen Familie und Kindern, hat mich zunächst irritiert und ich wähnte mich einem literarisch durchaus ansprechenden Liebesroman. Die Wende kam mit der Lektüre des dritten Kapitels, das der Hausangestellten Kadiatou gewidmet war. Kadiatou wird in ihren Zweitjob als Zimmermädchen vergewaltigt und durchläuft mit der anschließenden polizeilichen Untersuchung und dem drohenden gerichtlichen Strafverfahren ein regelrechtes Martyrium. Zweifelhafte staatsanwaltliche Ermittlungsmethoden und insbesondere die Darstellung des Falls in den Medien tragen dazu bei. Ein für Kadiatou entwürdigendes, starke Schamgefühle auslösendes Erlebnis, aufwühlend und bewegend von der Autorin erzählt.

Die Darstellung des Lebens Kadiatous, ihre schwere Kindheit und Ehe in Guinea, ihre Flucht in die USA, ihre Träume von einem zufriedenen, auskömmlichen Leben in dem neuen Land, jäh unterbrochen von der Vergewaltigung, ist für mich der stärkste Teil des Romans. Ebenso herausragend und eindringlich empfand ich das vierte Kapitel, das von Omelogor handelt, die in Nigeria Karriere als Bankerin macht, indem sie sich geschickt in die dortigen korrupten Verhältnisse einfügt. Deutlich arbeitet Adichie hier die korrupten Machtverhältnisse heraus, die es einem kleinen Teil der nigerianischen Gesellschaft ermöglichen, ungeheuren Reichtum auf Kosten der übrigen armen Bevölkerung anzuhäufen. Kadiatou und Omelogor sind für mich die interessantesten Charaktere des Romans und haben mir insbesondere einen überzeugenden, teilweise erschreckenden Einblick in den Alltag Nigerias und Guineas ermöglicht.

Adichie beschreibt ihre vier Hauptfiguren mit deren Stärken und Schwächen sehr einfühlsam. Sie scheinen gefangen zwischen dem Wunsch, einem herkömmlichen und gleichzeitig im Wandel begriffenen Frauenbild zu entsprechen und sind dabei auf der Suche nach Identität und einem guten, erfüllten Leben. Adichie schreibt mit einem genauen Blick auf das Alltägliche und Zwischenmenschliche. In manchen Passagen ist der über 500 Seiten lange Roman allerdings nicht einfach zu lesen. Stellenweise hat der Roman eher wie ineinander verwobene Kurzgeschichten gewirkt, weshalb ich "nur" 4 Sterne vergebe.

Durchaus anspruchsvolle Literatur, deren Lektüre ich sehr empfehlen kann.