Rezension

Weihnachtsgefühle an der Nordsee

Weihnachtswunder mit Meerblick -

Weihnachtswunder mit Meerblick
von Lotte R. Wöss

Bewertet mit 4 Sternen

Angenehm zu lesen, spannende & wichtige Themen zusammen mit einer schönen Lovestory serviert

Menschen und Konflikte – treten gerne gemeinsam auf und sie sind spannend…

>>>INHALT

Was tut man, falls nicht einmal der eigene Bräutigam einem zuhören möchte, wenn man die Hochzeit absagen will, ebenso wenig seine Eltern und schon gar nicht die eigene Familie? In genau dieser Situation steckt die 23-jährige Mia, die einen schweren Stand hat, wenn es darum geht, ernst genommen zu werden: Immerhin hat sie es im Anschluss an die Schule und ihr Abitur nach allgemeingültigen Maßstäben bislang zu nichts gebracht – sie besitzt keine Ausbildung, keinen Abschluss. Versagern hört niemand zu; das ist sicher einer der Gründe, weshalb sie gern zu Versagern abgestempelt werden, weil es nämlich den Umgang mit ihnen so furchtbar einfach gestaltet.

Mia flieht angesichts der Tatsache, dass ihre Versuche, sich verständlich zu machen, abprallen: Da gibt es eine Tante, weit entfernt von ihrer Heimatstadt Salzburg an der Nordseeküste lebend und ohne Kontakt zu Mias Mutter, ihrer Schwester. Tatsächlich findet Mia bei Tante Hedda freundliche Aufnahme – und in deren Umfeld überraschenderweise einen enorm sympathischen Tierarzt namens Sebastian.

Mia lernt die ihr bis dahin völlig unbekannte Tante kennen und schätzen, verliebt sich kulinarisch in die Krabbensuppe sowie in Strandspaziergänge bei eiskaltem Wind zum Sonnenaufgang. Insgesamt tut ihr der komplette Szenenwechsel gut, denn erstmals hat sie das Gefühl, in der Person ihrer Tante interessiert sich jemand nicht für ihre auf Zeugnissen zertifizierten Leistungen, sondern für sie selbst als Charakter sowie für das, was sie will und tut.

Der Roman konfrontiert seine Leser mit nicht weniger als vier verschiedenen, sehr unterschiedlich gelagerten großen Konflikten und Mias Talent, diesbezüglich geschickt zwischen den beteiligten Parteien zu vermitteln: ein krasser Fall von Romeo & Julia in Büsum / Sebastian & sein Neffe / Tante Hedda & ihre Mutter / sie selbst & ihr Verlobter Patrick. Bis zum Schluss bleibt die Frage spannend, ob ihr ungewöhnliches Vermittlungsgeschick auch in Bezug auf ihr eigenes Lebens- und Liebesglück helfen kann.

>>>WAS DER ROMAN BIETET

Der Autorin versteht es, in ihrem flott erzählten und daher einfach zu lesenden Liebesroman zahlreiche Themenfelder aufzugreifen, die ebenso interessant wie wichtig sind.

Bewusst oder unbewusst versucht jeder Leser, sich nicht nur von seiner Lektüre unterhalten zu lassen, sondern nach Möglichkeit auch, daraus zu lernen. Es ist wissenschaftlich erwiesen, dass das mit bewegenden, also die Seele tatsächlich berührenden Liebesromanen, tatsächlich geht, weil emotional eine Art Simulation in Sachen "Gefühle entwickeln" durchgeführt wird. Diese Simulation wiederum schult ganz ähnlich wie eine echte Lebenserfahrung.

Jeder Mensch ist mit Konflikten konfrontiert – Mias Art, damit sehr unkonventionell, aber gleichzeitig offen und lösungsorientiert umzugehen, mag inspirieren, seine eigenen Konfliktfelder ähnlich kreativ zu bearbeiten.

Jede Familie hat ihre Geheimnisse. In der Regel liegen viele Faktoren, die dazu geführt haben, weit in der Vergangenheit, und sie verändern sich oft unter dem Einfluss von Zeit bzw. Umfeld so, dass am Ende kaum noch zwischen Fakten und Fiktion unterschieden werden kann. Auch hier bietet der Roman interessante Denkanstöße.

Es gibt niemanden, der nicht im Verlauf seines Lebens Schuld auf sich lädt. Wichtig ist für das Gelingen eines glücklichen Lebens, wie man mit Schuldgefühlen umgeht. Auch hier bietet das Werk von Lotte R. Wöss einiges an Inspiration.

Für jeden Menschen stellt sich am Ende seiner Schullaufbahn die wichtige Frage, was folgen soll. Angesichts der Vielzahl der heute existierenden Berufe ist die Entscheidung für eine Ausbildung, die zum Erfolg führt, also dazu, dass das Erwerbsleben auch als Berufung erlebt wird und damit erfüllend verläuft, nicht einfach. Erfolgsdruck ist den meisten Menschen leider bestens vertraut, auch die irrige Annahme, dass lediglich Zahlen und Ziffern auf einem Zeugnis über den Wert eines Lebens entscheiden. Im vorliegenden Werk wird eine Geschichte skizziert, in der die Hauptdarstellerin recht mühsam ihren Weg Richtung Berufung suchen muss. Diesen Weg zu verfolgen mag allen Suchenden, die beim Lesen daran teilnehmen, Ermutigung schenken.

>>>VERLIEBT IN DIE NORDSEE? GANZ SICHER!

Zwischen Norddeutschland samt der Nordseeküste und Salzburg liegen buchstäblich Welten. Bereits das gelungene Cover des Buches stimmt mit einem hübschen Friesenhaus auf die schöne Nordsee-Atmosphäre ein, die anschließend auch im Text anschaulich geschildert wird: Wer die Nordsee mag, wird diesen Titel lieben. Bisweilen lässt die Autorin ihre Protagonisten sogar den typischen Küsten-Schnack sprechen – fein dosiert, sodass keine Verständigungsprobleme auftreten. 

Die Handlung des Werks ist in die Weihnachtszeit verlegt und am Heiligabend kommt das Plot zu seinem Höhepunkt. Im Hintergrund werden Weihnachtsmarkt und Weihnachtsdekoration immer einmal erwähnt, ebenso das Winterwetter.

Ja, das Publikum verlangt nach Weihnachtsromanen (Am besten hat jeder Schriftsteller einen im Programm.), aber mich beschlich manchmal der Eindruck, dass diese Handlung auch ziemlich einfach in eine andere Jahreszeit hätte verlegt werden können.

>>>WO DER ROMAN MICH PERSÖNLICH ENTTÄUSCHT HAT

Das Werk enthält nicht unbedingt mehrere Handlungsstränge, aber die gesamte Handlung berührt in einem anregenden Wechsel immer wieder unterschiedliche Themenfelder. So weit, so gut.

Die Sprache, in der das geschieht, stellt mich leider häufiger nicht zufrieden. Ich kann einfach nicht verstehen, warum eine Autorin, die ein komplexes Plot entwickeln kann, konsequent an der simplen (und in Autorenkreisen an und für sich gut bekannten) Forderung vorbei formuliert, anstelle der Hilfsverben sein und haben Vollverben zu benutzen.

So eine simple Regel, die sogar aus einem mittelmäßigen Buch ein Gutes machen kann! Wer immer nur mit "war, war, war" Inhalte ausdrückt, tut das, ohne ihnen Tiefe zu verleihen. Wenn etwas lediglich so "war", dann werde ich als Leser bloß mit einer Tatsache konfrontiert, und zwar auf eine Art und Weise, wie ein Kind sie ausgedrückt hätte: eindimensional. 

Ein Beispiel? Gern: 

Der Wind war kalt. 

Klar, kann man so sagen - kalter Wind eben. Aus. Fertig. Ne Tatsache halt. Nix falsch dran, aber auch nix Besonderes – eine knappe Botschaft.

Der Wind schnitt kalt und prickelnd in die Haut ihres Gesichtes und sie war froh, ihren restlichen Körper warm eingemummelt zu haben. 

Ja, ich gebe zu, das ist in Bezug auf den Textumfang viermal so lang und umständlicher zu lesen. Aber jetzt kann ich wirklich nachempfinden, was die Figur da fühlt: Ich spüre förmlich, wie ein scharfer Wind mit Eisfingern nach ihrem Gesicht greift und den Gegensatz zwischen der sich wie gefroren anfühlenden, starren Gesichtshaut und dem angenehm warmen Körper. So eine Wahrnehmung hilft einem, sich unerhört lebendig zu fühlen. Da hat die Protagonistin ihre persönliche Komfortzone verlassen, um eine physische Erfahrung auszuhalten. Da agiert kein bequemer Mensch, dessen Lieblingsbiotop “Couch” heißt, sondern jemand, der bereit ist, sich auch ungewöhnlichen Umständen auszusetzen – usw. 

Klar, worauf ich hinauswill? Indem ich die Wirkung des „kalten Windes“ darüber hinaus beschreibe, dass er eben frisch ist, kann ich ganz nebenbei (und unter Vermeidung einer langatmig-drögen Charakterbeschreibung) sehr viel über die damit konfrontierte Person aussagen – und den Leser mit einiger Aussicht auf Erfolg unter Anknüpfung auf eigene Erfahrungen tatsächlich mit hinaus nehmen auf einen winterlichen Strand, wo es eiskalt vom offenen Meer her zieht …

Die Simulation, die die Emotionen beim Lesen eines Liebesromans durchlaufen können, funktioniert nur realitätsnah und damit für das Leben 1.0 schulend, wenn eine Story nicht oberflächlich bleibt. Den Leser mitreißen, das klappt am besten, wenn Autoren Gefühle und Erlebnisse von Romanfiguren detailliert beschreiben. Mit haben  und sein  geht dies nicht - so einfach ist das. 

Und auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen, stelle ich [noch und wieder einmal] fest, dass ich es unangemessen finde, erwachsene Gefühle rund um die Liebe mit einem Vokabular zu beschreiben, das einem Kind gut zu Gesicht stünde.

>>>FAZIT

Sehr interessante und vielschichtige Story, angenehm zu lesen, doch alles in allem mit einigem sprachlichen Spielraum nach oben, der leider keine fünf Sterne erlaubt.

Daher gerne vier Sterne: