Rezension

weiß oder schwarz?

Die verschwindende Hälfte - Brit Bennett

Die verschwindende Hälfte
von Brit Bennett

Bewertet mit 4 Sternen

Desiree und Stella sind Zwillingsschwestern. Sie wachsen in den 60ern in Mallard, Louisiana auf, einem kleinen Ort der nirgends verzeichnet ist. Die Bewohner sind stolz auf ihre Herkunft aber v.a. darauf, dass sie von Generation zu Generation hellhäutiger werden und mittlerweile kaum noch als Farbige erkannt werden können. Für Stella ist klar, dort will sie nicht  bleiben, sie fühlt sich eingesperrt und auch Desiree strebt nach mehr, sie will aufs College und nicht mit ihrer Mutter zusammen bei reichen Weißen putzen gehen. Also machen sich die beiden nachts auf die Flucht nach New Orleans um dort neu anzufangen. Doch ihre Wege trennen sich. Während Desiree ein Leben als schwarze Frau, mit einem schwarzen Mann und einer schwarzen Tochter lebt, verschwindet Stella spurlos, sie wechselt die Seite und gibt sich fortan als Weiße aus, mit einem reichen weißen Mann und einer weißen Tochter.

Das war mein erstes Buch von Brit Bennet aber ich mochte ihren Schreibstil direkt. Ihre Protagonisten sind geprägt von dem Wunsch zu fliehen, auszubrechen aus dem für sie vorbestimmten Weg, sie sind rastlos und suchen stets nach einem Ziel aber auch nach der eigenen Identität und einem Gefühl von Zugehörigkeit.

Nach dem ersten Teil war ich ein wenig ernüchtert, die Geschichte von Desiree konnte mich irgendwie nicht richtig packen, sie blieb mir ein Rätsel und ich konnte mich nicht so richtig in sie hineinversetzen (das blieb auch bis zum Schluss so, für mich ist sie die schwächste und unahbarste Figur in Bennets Erzählung). Doch spätestens ab dem 2. Teil war ich gefesselt von den Protagonisten und ihrem Lebensweg, den sie einschlagen. Das Getriebensein und die Konsequenzen, die ihre Hautfarbe für sie bedeuten wird sehr eindrücklich und sensibel geschildert. Man kann sich als Leser gut in die einzelnen Figuren hineinfühlen, sieht die Welt plötzlich mit ihren Augen und spürt die Zerrissenheit am eigenen Leib.

Durch die beiden völlig verschiedenen Lebenswegen, die die Zwillinge einschlagen zeigt Bennet die zwei Seiten der Gesellschaft sehr gut. Schwarz und Weiß beginnen sich zu vermischen, man gibt sich großzügig und pseudoliberal aber die Nachbarschaft soll doch bitte rein bleiben - die schwarze Seite soll doch bitte wieterhin unter sich bleiben. Sie wirft auch einen Blick auf die Gesellschaft abseits von Fragen der Hautfarbe. Die Frage nach der eigenen Identität prägt die Figuren. Sie wollen sich nicht durch festgelegte Kategorien definieren, denn sie spüren, dass diese nicht zu ihnen passen. Die eigene Identität ist geprägt von Veränderungen. Veränderungen, die fließend verlaufen und solche, die Zeit brauchen, Veränderungen, die von Dauer sind und solche, die nur begrenzte Zeit anhalten. Doch jede Veränderung prägt die Figuren und lässt sie zu denen werden, die sie am Ende sind. Sie machen sich frei von Kategorien und Schubladen, frei von Hautfarbe oder Herkunft, vordefinierten Geschlechterrollen und Sexualität, frei von Erwartungen. Und dadurch entwickelt sich etwas, das mich als Leser in seinen Bann gezogen hat.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 24. September 2020 um 10:17

Wirklich? Ich habe Desiree sehr gut verstanden, während Stella ... zumindest später auch andere Möglichkeiten gehabt hätte. Schade, dass man sich nicht wirklich darüber unterhalten kann, weil man sonst spoilern würde.