Rezension

Weiterer Toptitel aus dem Wunderraum Verlag

Der Wind in meinem Herzen - Francesca Diotallevi

Der Wind in meinem Herzen
von Francesca Diotallevi

Bewertet mit 4.5 Sternen

Worum es geht: 

Aostatal während des ersten Weltkrieges. Fiamma ist allen nur als die Hexe bekannt, ausgeschlossen aus der Gemeinde aber dennoch immer bereit zu helfen, wenn die Dorfbewohner anklopfen kommen. Ihren besten Freund Raphael hat sie an den Krieg verloren und es scheint als sei nun auch ihr Schutz verschwunden. Einige Dorfbewohner wollen sie nicht mehr tolerieren. Doch ein neuer Pfarrer im Dorf versucht das Unmögliche, Fiamma in die Gemeinde einzubeziehen. Und da wäre ja noch Raphaels Bruder, mit dem Fiamma ein Geheimnis teilt... 

"Mehr als ein Jahr war vergangen, seit ich das letzte Mal Nachricht von meinem Bruder erhalten hatte, und noch immer konnte ich mich nicht mit dem unaufhaltsamen Verstreichen der Zeit abfinden, mit dem Wechsel der Jahreszeiten, mit dem Leben, das trotz allem weiterging. Der Schmerz war nicht an etwas Bestimmten zu verorten, er hatte keinen festen Punkt, sondern erstreckte sich in Unendlichkeit." 

Meine Meinung: 

Ein neuer Wunderraum-Titel und ich bin mal wieder begeistert. Erschrocken wie dünn es diesmal ausfiehl ist das auch eine grosse Kritik: Das Buch ist zu kurz!
Der italienische Hit um Fiamma erhielt dann gleich auch den Premio Neri Pozza Preis. 
Sprachlich war dieses Büchlein super angenehm und ich habe es, ungelogen, an einem Tag richtiggehend inhaliert. Während es zu Beginn noch viel um die Traurigkeit und Fassungslosigkeit gegenüber des Krieges und seiner Verluste geht, kommen aber auch die Themen der Gläubigkeit und Toleranz nicht zu kurz. 
Durch die Perspektivwechsel zwischen Fiamma, Don Agape dem Pfarrer und Yann, Rapahels Bruder, kriegen wir einzelne Puzzelstücke zu einem Bild. 
Don Agape ist neu im Dorf und muss seine Schäfchen erst mal kennenlernen. Der alte Pfarrer ist streng und manipuliert seine Gemeinde mit Angst. Don Agape hingegen kommt frisch aus Rom mit Kisten voller Bücher. Er predigt auf Nächstenliebe und Toleranz. "Wir sind alle Gottes Geschöpfe", was ihm natürlich zuerst nicht viele Freunde einbringt. 
Die Darstellung der Gemeinde, und der Zusammenhalt dieser fand ich wunderbar porträtiert. Erst nach und nach wird Don Agape bewusst wie eng die Gemeinschaft wirklich ist. 

"Das Tierchen hatte schreckliche Angst und wehrte sich heftig, als wir versuchten, es loszubinden. Raphael hielt es mit seinen Händen fest und flüsterte ihm tröstende Worte zu, als könnte er ihm allein durch den Klang seiner Stimme ein wenig Mut einflössen. Und es funktionierte. Dies war seine Gabe. Er konnte wilde Geschöpfe zähmen."

Yann hat nach einem Unfall ein steifes Bein und nach dem Tod seines Bruders die Familie und den Hof am Hals. Damit nicht genug hat er seinem Bruder versprochen auf Fiamma aufzupassen. Vieles daran scheint unmöglich. Den Wunsch nach Frieden und Ruhe seinerseits konnte ich gut nachvollziehen. 
Höhepunkt des Eklats ist die Ankunft einer Zigeunergruppe. Angst und Vorurteile seitens der Gemeinde, aber auch Freundschaften entstehen. Fiamma fühlt sich gleich mit ihnen verbunden. Eine Handlung welche inspiriert von der realen Geschichte der Zinn- Zigeuner aufbaut. Diese wurden 1911 von einer Lawine im Aostatal getötet, ein Gedenkmal steht auch heute noch. Ich fand es ein bisschen Schade, dass die Autorin nicht mehr auf die Zigeuner im Buch eingegangen ist. Sie kommen vor, aber Hauptfigur ist immer Fiamma.
Hier hat die Autorin es wirklich schön geschafft unterschiedliche Themen aufeinander abzustimmen. Die Liebesgeschichte war spannend und herrlich unkitschig. Auch hier hätte ich gerne ein paar Seiten mehr gehabt. Dennoch las es sich, wie gesagt, weg wie nix. 
Ich habe meinen Tagesausflug mit Fiamma und Co ausserordentlich genossen und hoffe auf weitere Bücher der Autorin! 

"Wenn ich die Augen schliesse, mein eich, den frischen Windhauch unseres Tals zu spüren, der über die Wiese und die zerklüftete Felsen streicht und in den Wald mit den roten Lärchen, zwischen den Birken hindurch. Die Berge heben sich scharf gegen den Sonnenuntergang ab. Der Wald liegt schon im Dunkeln, aber oben auf den Almen scheinen noch die letzten Strahlen der Sonne und spenden Wärmen."