Rezension

Welcome to Night Vale

Welcome to Night Vale - Joseph Fink, Jeffrey Cranor

Welcome to Night Vale
von Joseph Fink Jeffrey Cranor

Night Vale, eine Stadt in einer Wüste im Südwesten Amerikas, ist nicht wie jede andere. Hier treiben sich merkwürdige Gestalten herum, deren Ursprung und Existenz nicht logisch erklärbar ist. Aber eigentlich ist in Night Vale nichts wirklich mit Logik zu erklären. Niemand hier hinterfragt diese merkwürdigen Phänomene und falls sie es doch tun, wird einfach die Erinnerung daran gelöscht. Geister, Engel, Aliens oder Verschwörungstheorien gehören hier zur Tagesordnung.

Jackie Fierro ist 19 Jahre alt und Besitzerin eines Pfandleihhauses. Sie war schon immer 19, oder zumindest kommt ihr das so vor. Ihr Tag hat eine Routine: Aufstehen, Arbeiten, nach Hause gehen (vorher müssen aber noch die Türen versteckt werden, sonst könnten sie ja gestohlen werden), Radio hören, Schlafen. Doch eines Tages kommt ein mysteriöser Mann in ihr Geschäft, der ihr einen Zettel in die Hand drückt, auf dem „KING CITY“ geschrieben steht. Nachdem sie ihm aber elf Dollar gegeben hat (weil sie das immer tut) und der Mann gegangen ist, ist ihre ganze Welt plötzlich durcheinander. Sie kann sich nicht an den Namen oder das Gesicht des Mannes erinnern und zweifelt plötzlich an sich selbst - warum kann sie sich nicht an ihre Kindheit oder ihre Mutter erinnern? Wer war der Mann? Warum bleibt der Zettel permanent an ihrer Hand haften, selbst wenn sie ihn wegwirft oder sogar verbrennt? Und was hat es mit King City auf sich?

Diane Crayton ist alleinerziehende Mutter eines 15-jährigen Sohnes und hat es nicht leicht. Ihr Sohn Josh kann seine Gestalt wechseln und ist mal eine Libelle, ein pummeliger Junge oder eine Schreibtischlampe. Sie hat einen Job, mit dem sie über die Runden kommt, aber niemand weiß wirklich, was das für ein Job ist. Eigentlich führen Diane und Josh ein ganz normales Leben („normal“ für Night Vale), wäre da nicht Josh‘ Wunsch, seinen Vater kennen zu lernen. Dieser hat Diane und Josh ganz früh verlassen und taucht nun aber an jedem Ort auf.

Jackie merkt, dass etwas nicht mit diesem Mann stimmt (er ist einfach überall und grinst immer so komisch) und auch Diane ist ihm auf den Fersen, da sie ihren Sohn schützen möchte. Natürlich kreuzen sich deren Wege und gemeinsam versuchen sie, das Rätsel um den mysteriösen Mann, King City und Josh‘ Vater zu lösen.

Meinung:

Night Vale ist einfach… Night Vale. Schwer zu beschreiben. Obwohl man merkt, dass etwas nicht ganz stimmt mit dieser Stadt, hatte ich doch ein total heimeliges Gefühl. Wahrscheinlich liegt das an dem Podcast, der vor wenigen Jahren total auf Tumblr gehyped wurde. Darin erzählt Cecil Baldwin, der Moderator des Night Vale-Radios, von den Geschehnissen in der Stadt und lässt alles einfach so… normal klingen. Selbst bei einer Dinosaurier-Invasion stellt sich kaum die Frage, wie man die Situation wieder in den Griff bekommt, sondern eher welche Art von Dino es war. Mysteriöse vermummte Gestalten, die einfach im Studio auftauchen und sich nicht bewegen? Lasst uns doch ein Interview führen! Ich kann euch den Podcast wirklich nur empfehlen. Bevor ihr das Buch lest, hört euch zumindest eine Folge an :)

Manchmal habe ich tatsächlich vergessen, dass Night Vale keine normale Stadt ist, aber dann kam wieder ein Satz, der absolut keinen Sinn gemacht hat und/oder total widersprüchlich war. Das ist einfach der Charm der Geschichte, hier wird auf liebevolle Art und Weise absolut Unsinniges mit Kleinstadt-Alltag vermischt, bis man irgendwann nicht mehr sicher ist, was denn nun real ist und was völliger Quatsch. Die Atmosphäre in Night Vale ist auch sehr gut beschrieben. Ich hatte sofort eine Wüste im Kopf, eine Stadt, die in violettes Licht gehüllt ist, seltsame Phänomene am Himmel, vermummte Gestalten auf der Straße, aber dennoch ganz alltägliches Gewusel von Menschen.

Der Schreibstil ist eigentlich derselbe wie der des Podcasts - etwas monoton und sehr liebenswürdig mit gelegentlichen „wtf?!“-Momenten. Sehr toll fand ich die Einschübe, in denen Cecil im Radio von den täglichen Ereignissen erzählt hat, und wie die eigentliche Geschichte darin verwoben wurde.

Die Protagonistin Jackie habe ich sofort ins Herz geschlossen. Kennt ihr Wendy aus der Serie „Gravity Falls“? Jackie hat dieselbe relaxte, no-bullshit-Einstellung (verstärkt durch Worte wie „dude“ oder „man“, die sie oft in ihren Sätzen benutzt) und ich hab das Buch meistens in Wendys oder Cecils Stimme gelesen. Jackie hat irgendwann aufgehört älter zu werden, weil sie einfach keine Lust hat 20 zu werden. Diane unterstellt ihr oft, dass sie zu kindisch sei und sie nicht noch auf ein weiteres Kind aufpassen könnte, weswegen es oft zu Streitigkeiten zwischen den beiden kommt. Diane ist sehr verantwortungsbewusst (sie ist Schatzmeisterin des PTA), verliert aber oft die Geduld und dadurch kommt es manchmal zu Kurzschlussreaktionen bei ihr. Ihr Verhältnis zu ihrem Sohn Josh ist… seltsam. Manchmal war ich mir nicht sicher, ob sie ihn wirklich liebt oder einfach nur sagt, sie liebt ihn, weil er halt ihr Sohn ist. Manchmal bemuttert sie ihn zu stark, manchmal hatte ich das Gefühl, dass es ihr egal ist, was er tut. Die Beziehung ist etwas schwierig, finde ich. Vielleicht ist das aber auch normal in der Pubertät? Mit Diane wurde ich, vielleicht auch deswegen, nie ganz warm.

Schön finde ich aber die Entwicklung in der Beziehung zwischen Jackie und Diane. Anfangs konnten sie sich nicht leiden, weil beide so unterschiedlich waren. Durch ihre gemeinsamen Entdeckungen und Abenteuer (unter anderem in der öffentlichen Stadtbibliothek, in der eigentlich nie jemand wieder lebend rauskommt und über die keiner so wirklich spricht) haben sie gelernt, sich gegenseitig zu respektieren und die Charaktereigenschaften des anderen zu schätzen.

Die Storyline selbst verliert sich an einigen Stellen. Ich war mir teilweise nicht ganz sicher, was das Ziel ist und wie sie es erreichen wollen. Und auch das Ende war etwas zu konstruiert und hat eigentlich keinen Sinn gemacht - aber was macht schon Sinn in Night Vale?

Alles in allem hat mir die Geschichte sehr gut gefallen. Sie hat eben diesen typischen Night Vale-Charm. Der Plot selbst hätte etwas spannungs- und temporeicher sein können, aber dann wären wahrscheinlich die ganzen kleinen Details verloren gegangen, die die Geschichte so ausmachen. Seltsamerweise schließe ich die Geschichte mit jedem Tag mehr ins Herz. Kann aber auch daran liegen, dass ich wieder angefangen habe, mir den Podcast anzuhören ;) Somit bleibt mir nur noch eins zu sagen: Good night, Night Vale. Good night. ♥
 

Hier noch ein paar Zitate, die zeigen, wie toll, einzigartig, unsinnig, irreal, widersprüchlich und fantastisch Night Vale ist:

“Clocks and calendars don’t work in Night Vale. Time itself doesn’t work.”

“Of course, angels do not exist. It is illegal to consider their existence, or even to give them a dollar when they forget bus money and start hovering around the Ralphs asking for change. The great hierarchy of angels is a foolish dream, and anyway is forbidden knowledge to Night Vale citizens. All of the angels in Night Vale live  with Josie out by the car lot. There are no angels in Night Vale.”

“We are skipping Friday this week, but we’ll make up for it by having Double Friday next week. Mark your schedules.”

“It’s not easy raising a child in Night Vale. Things go strange often. There are literal monsters here. Most towns don’t have literal monsters, I think, but we do.”

“Librarians are hideous creatures of unimaginable power. And even if you could imagine their power, it would be illegal. It is absolutely illegal to even try to picture what such a being would be like.”

“Comfort was the answer to all life's problems. It didn't solve them, but it made them more distant for a bit as they quietly worsened.”