Rezension

Weltliteratur mit Durststrecken

Robinson Crusoe, English edition - Daniel Defoe

Robinson Crusoe, English edition
von Daniel Defoe

Ich denke, die meisten von euch sind mit den Grundzügen dieser Geschichte schon vertraut. Auch ich dachte, das meiste schon zu kennen, bevor ich das Buch aufschlug.
Trotzdem war es für mich sehr spannend mitzuverfolgen, wie Robinson Crusoe sich alleine auf der Insel schlägt und es im Endeffekt 28 Jahre gut dort aushält, bevor er gerettet wird und nach England heimkehrt. Es war erstaunlich, wie einfallsreich und selbstsicher er sich auf der Insel bewegt, sich ein Haus, eine Herde Schafe und einen Garten ganz nach englischer Manier mitten in der Südsee anlegt, Kannibalen bekämpft, und - ganz generell - seine Tage verbringt, ohne dass die Einsamkeit ihn in die Verzweiflung treibt.
Leider beschäftigt sich Robinson Crusoe in seinen ersten paar Jahren auf der Insel einen Großteil der Zeit damit, Listen anzufertigen. Listen von Dingen, die sich auf der Insel befinden, Listen über Dinge, die er im Wrack des Schiffes gefunden hat, Listen über das Wetter am Tag soundso und dem Tag darauf....denkt euch den Rest. Diese Listen ziehen sich manchmal über mehrere Seiten und unterbrechen den Lesefluss stark. Diese Aufzählungen haben dem Buch einiges von seinem Charme genommen und mich jedesmal aufs neue genervt.
Außerdem unternimmt Robinson Crusoe - er hat ja schliesslich niemanden zum Reden - immer wieder Ausflüge in die Theologie und Metaphysik, in denen er langatmig darüber nachdenkt, ob Gott ihn bestrafen will, weil er seinem Vater nicht gehorcht hat oder ob Gott ihn gerettet hat, indem er ihn auf der Insel stranden ließ. An sich ist es ja logisch, sich so etwas zu fragen, wenn man ohne Aussicht auf Rettung für wer weiss wie lange allein ist, aber leider kommt Crusoe nie zu einem Ergebnis, was meiner Meinung nach die ganze detailliert beschriebene Nachdenkerei überflüssig macht.
Robinson Crusoe schildert die Handlung rückblickend aus der Ich-Perspektive, so als ob er ein Reisetagebuch veröffentlichen würde.
Der Schreibstil Defoes war durchwachsen, aber dafür dass es einer der ersten Romane der Weltgeschichte ist, ist er denke ich gar nicht so übel. Die Geschichte liest sich flüssig, mal abgesehen von den ellenlangen Listen. An manchen Stellen war ich mir allerdings nicht sicher, ob die Stilfehler, die sich eingeschlichen haben, Defoes Schreibstil zuzuordnen sind oder ob der Autor versucht hat sich in Crusoe und seine Sprechweise hineinzuversetzen. Ich allerdings finde, dass in einem Satz von knapp 12 Wörtern nicht 3 mal das Wort "one" auftauchen sollte.
Letztlich hat man doch am Ende des Buches ebenso wie Robinson Crusoe einiges dazugelernt, denn Defoes Buch ist nicht nur die Geschichte eines Mannes, der auf einer einsamen Insel angespült wird, sondern auch die Erzählung, wie ein junger Mann seinen Weg geht, egal was ihm auch widerfährt.
Eine kleine Warnung muss ich allerdings noch aussprechen an alle die, die sich überlegen, das Buch auf Englisch zu lesen: Der Wortschatz entspricht dem Britischen Standard von 1719, also wundert euch nicht, wenn euch das Lesen nicht immer leicht fallen sollte. Ich studiere im dritten Jahr Anglistik und hatte trotzdem mit manchen Wörtern und Formulierungen zu kämpfen, da sich die Wortbedeutungen in einigen Fällen von der im modernen Englisch unterscheiden. Doch keine Sorge, einen Versuch ist es immer wert ;)

Ein spanndendes, streckenweise aber auch langatmiges Buch, das es auch fast 400 Jahre nach seiner Erstveröffentlichung immer noch wert ist gelesen zu werden.