Rezension

Wende in Deutschland aus der Sicht eines Jugendlichen

89/90
von Peter Richter

Eine Jugend in Dresden: Der Ich-Erzähler wird im Herbst 1989 sechzehn Jahre alt, er lebt in der DDR. Anscheinend stammt er aus einem gebildeten bürgerlichen Haushalt, das Regime wird nicht ernst genommen, man schlängelt sich anscheinend ohne größere Konflikte durch. Den namenlosen Jungen und seine Freunde interessieren die Mädchen, Musik, ein Rebellentum im Kleinen. Der Alltag erhält seinen Rahmen durch die Schule, die erzwungene politische Tätigkeit, die Wehrübung; viel wichtiger sind verbotene Nächte im Freibad, Konzerte und heimliche Provokationen. Die Wende kommt überraschend, und allzu viele Gedanken machen sich die Jugendlichen nicht darüber. Endlich mal nach Westberlin, verbotene Musik hören, das Begrüßungsgeld abholen. Der Alltag in der Schule ändert sich kaum. Neu ist Hasch statt Schnüffeln. Und nachdem die Auseinandersetzungen mit dem Regime wegfallen, eskalieren die Kämpfe unter den Jugendlichen: Es bilden sich Neonazi-Gruppen, Skinheads prügeln sich blutig mit Punks. 

Den ersten Teil dieses Buches habe ich mit Interesse gelesen; die Alltagsschilderungen fand ich faszinierend. Doch nach und nach wurde es mir zu seicht. Wenn der Alltag sich nur darin erschöpft, sich gegenseitig zu verprügeln, kann ich das nicht mehr fesselnd finden. Mag ja sein, dass es ein Ventil ist, um den Frust über fehlende Chancen loszuwerden und die Energie, die sich vorher gemeinsam gegen das Regime richtete, zu bündeln - da fehlte mir dennoch die Verbindung zur Wende. Straßenkämpfe hätten auch zu anderen Zeiten, an anderen Orten stattfinden können, und da wir die Personen vorher zu wenig kennenlernen konnten, war der Persönlichkeitswechsel nicht nachzuvollziehen.

Daher: Ein Pluspunkt für die detaillierte Alltagsschilderung aus der Sicht eines Jugendlichen; der Rest ist dann für mich wenig fesselnd. Passend zum 25. Jahrestag landete dieses Buch auf der Longlist des Deutschen Buchpreises.

Kommentare

wandagreen kommentierte am 09. Oktober 2015 um 22:56

Habe ich auch so gesehen und war schon etwas enttäuscht!